Bayern zwingt Flüchtlinge zum HIV-Test
Veröffentlicht am 23.11.2015 • Von Giovanni Mària
„Sinnlos, teuer, stigmatisierend“: Bayern zwingt Flüchtlinge zum HIV-Test
Bayern ist das einzige Bundesland, indem Flüchtlinge zwangsweise auf HIV getestet werden. Diese Praxis wird massiv kritisiert – sie sei nicht nur ein Eingriff in die Selbstbestimmung der Flüchtlinge, sondern grenze auch an Körperverletzung und sei zudem Geldverschwendung.
Ein Zwangstest auf HIV oder keine Chance auf einen Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft? Vor dieser Wahl stehen Flüchtlinge offenbar in Bayern. Es ist das einzige Bundesland, das alle Flüchtlinge beim Gesundheitscheck auch auf das HI-Virus überprüft.
Schutz für Asylbewerber
Seitens des bayerischen Gesundheitsministeriums rechtfertigt man die HIV-Zwangstests für Flüchtlinge als Schutzmaßnahme. Die Untersuchung diene der Feststellung einer HIV-Erkrankung bei Asylsuchenden und schütze dadurch vor einer Weiterverbreitung der Infektionskrankheit.
Die DeutscheAids-Hilfe kritisiert das Vorgehen massiv, denn sie sieht im Zwangstest einen Eingriff in die Selbstbestimmung des Menschen, der darüber hinaus völlig sinnlos sei. Diese drei Dinge bemängeln Ärzte und Fachorganisationen besonders.
Vorwurf 1: Eingriff in das Selbsbestimmungsrecht
Durch den Zwang zum HIV-Test würden gleich mehrere Rechte des Menschen verletzt, darunter das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht. „In Deutschland muss man einem medizinischen Test zustimmen, ein HIV-Test ohne Einwilligung ist rechtlich Körperverletzung. Die Flüchtlinge haben in Bayern allerdings keine Wahl: Sie müssen den Test dulden, um in Deutschland untergebracht zu werden“, bemängelt Holger Wicht von der Deutschen AIDS-Hilfe gegenüber FOCUS Online.
Vorwurf 2: Verschwendung finanzieller Ressourcen
Gegen die Zwangsmaßnahme spricht laut Aids-Hilfe außerdem der hohe finanzielle Aufwand: „Ein HIV-Test kostet ungefähr zehn Euro und da sind noch keine Verwaltungskosten dabei. Wenn man diese Zahl auf die massenhaften Untersuchungen derzeit in Bayern hochrechnet, entsteht eine beachtliche Summe, die man in sinnvolle Test- und Beratungsangebote stecken könnte“, sagt Wicht. Da nicht viele der Flüchtlinge HIV haben, sei der massenhafte Zwangstest auch eine Verschwendung von Ressourcen.
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Vorwurf 3: Fachlich unsinnig
Darüber hinaus seien die massenhaften Tests fachlich unsinnig, denn in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge derzeit hauptsächlich nach Deutschland kämen, sei HIV nicht besonders häufig. Eher im Gegenteil: In Syrien zum Beispiel sei das Virus kaum verbreitet. „Eine Gefahr für die deutsche Bevölkerung entsteht nicht durch Flüchtlinge, sondern wenn Menschen nicht wissen, wie man sich schützt", sagt AIDS-Experte Wicht und kritisiert damit die mit dem Zwangstest einhergehende Stigmatisierung. "Nicht Zwangstests verhindern Infektionen, sondern zum Beispiel Kondome."
Auch das Robert-Koch-Institut, das in Deutschland für den Infektionsschutz zuständig ist, erwartet laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks trotz deutlich gestiegener Flüchtlingszahlen keinen großen Anstieg von HIV-Infizierten in Deutschland.
Rechtens nach Asylgesetz
Das Gesundheitsministerium sieht sich im Recht und beruft sich auf einen Paragraphen im Asylgesetz. „Die Asylbewerberinnen und Asylbewerber sind verpflichtet, diese Untersuchung zu dulden. Die Einholung eines Einverständnisses ist aufgrund dieser gesetzlichen Regelung nicht erforderlich. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden den Asylbewerbern eröffnet“, sagte ein Ministeriumssprecher FOCUS Online.
Mangelhafte Durchführung
Das stimme so jedoch nicht, wirft die Deutsche AIDS-Hilfe dem Freistaat vor. Flüchtlinge würden nicht immer zuverlässig und in verständlicher Weise über die Ergebnisse des Tests informiert. Auch ein Bericht des Bayerischen Rundfunks hebt Mängel der massenhaften Tests hervor. Flüchtlinge erzählten im Interview, nicht über die Tests aufgeklärt worden zu sein. Die Abendzeitung berichtet sogar, dass sie im Falle eines positiven Bescheids allein gelassen würden und nicht automatisch Zugang zu spezialisierten Ärzten oder einer Langzeit-Therapie erhielten.
Bayerns Bedrohungsszenario
Warum aber hält Bayern als einziges Bundesland an den Zwangstests fest, wenn in allen anderen Bundesländern auf freiwillige Maßnahmen und Aufklärung gesetzt wird? „Das ist typisch für Bayern. Die Regierung hat ein Bedrohungsszenario im Kopf und versucht durch strenge Kontrollen die Situation in den Griff zu bekommen. Das ist nicht nur bei HIV die Vorgehensweise, sondern zum Beispiel auch in der Drogenpolitik - mit fatalen Folgen, denn diese Strategie richtet Schaden an, statt zu nützen“, sagt Wicht.
Zu hoher Aufwand
Das Gesundheitsministerium hingegen sieht den Übergang zu freiwilligen Tests mit zu hohem organisatorischen Aufwand und gesundheitlichen Risiken für Asylbewerber verbunden: „Bei einer Untersuchung auf HIV auf freiwilliger Basis wäre der organisatorische Aufwand für eine umfassende Aufklärung der Asylbewerber über das Risiko einer Erkrankung für die Gesundheitsämter sehr hoch. Wir wollen nicht riskieren, dass ein Asylbewerber aufgrund von Kommunikationsproblemen die Tragweite der Entscheidung und das Risiko, aufgrund der Herkunft an HIV erkrankt zu sein, falsch einschätzt“, heißt es aus dem Ministerium.
Die Deutsche Aids-Hilfe sieht darin eine schwache Ausrede: „Die massenhaften Tests sind sogar mit einem höheren Aufwand verbunden als freiwillige Angebote", sagt Wicht. "Da derzeit in Bayern so viele getestet werden, können die Tests offenbar nicht einmal mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt werden. Manchmal verstehen die Menschen nicht einmal, was da getestet wurde.“