Parkinson: Sich mit anderen Patienten und Angehörigen auszutauschen ist sehr wichtig
Veröffentlicht am 13.04.2018
In diesem Interview erfahrt ihr mehr über Susanne und ihre an Morbus Parkinson erkrankte Mutter.
Hallo Susanne! Könnten Sie uns ein paar Sätze zu sich sagen?
Ich bin Susanne, fast 50 Jahre alt, lebe in Süddeutschland und bin Tochter einer Mutter, die an Parkinson erkrankt ist.
Könnten Sie uns mehr zu Ihrer Mutter sagen? Wann wurde bei Ihr Parkinson diagnostiziert?
Meine Mutter ist jetzt 75 Jahre alt. Zur Parkinson-Diagnose kam es vor rund zehn Jahren, also als sie etwa Mitte 60 war. Rückblickend kann ich jedoch sagen, dass sie schon wesentlich länger Symptome hatte. Da wir recht wenig über die Erkrankung wussten, erkannten wir diese jedoch nicht.
Um welche Symptome handelte sich?
Bereits vor 20 Jahren, als sie Mitte 50 war, lief sie nicht mehr wie vorher. Ihr Gang war plötzlich "schlürfend". Sie konnte noch gut gehen, wir unternahmen auch noch kürzere Wanderungen gemeinsam, aber sie hob die Füße nicht mehr wie vorher. Ich habe dies zwar bemerkt, mir aber nichts dabei gedacht und das eher einer Lethargie oder einer leichten Depression zugeschrieben. An Parkinson dachte ich überhaupt nicht, zumal in unserer Familie niemand sonst an Parkinson erkrankt ist.
Wie kam es dazu, dass Ihre Mutter schließlich einen Arzt aufsuchte?
Mit der Zeit hatte Sie das Gefühl, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. An welchen Symptomen sie das genau festmachte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls hat sie mir eines Tages erklärt, dass sie beim Neurologen war und sie an Parkinson erkrankt sei.
Wie ging es ihr und wie ging es Ihnen mit dieser Diagnose?
Sie hatte v. a. Angst vor den möglichen Reaktionen ihres Umfelds. Sie wollte auf keinen Fall, dass man meinte, sie sei an Demenz erkrankt, und erklärte mir und ihren engsten Freunden den Unterschied zwischen Parkinson und Alzheimer. Sie beharrte immer wieder darauf, dass ihre Erkrankung ihr Gehirn und ihr Denken nicht beeinflusse. Anfangs informierte sie wirklich nur die engsten Freunde und zwei, drei Mitglieder der Familie über ihre Diagnose. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie sich für ihre Erkrankung schämte.
Hat sich das später geändert?
Ja, ich würde sagen, nachdem sie den Kontakt zu anderen Parkinson-Patienten gesucht hatte. Die ersten Jahre war sie noch sehr mobil und nahm an vielen Informationsveranstaltungen und gemeinsamen Wochenenden mit anderen Betroffenen und deren Angehörigen teil. Ich war auch einmal dabei. Das war sehr interessant. Wir erfuhren sehr viel über diese Erkrankung und konnten uns mit anderen darüber austauschen.
Nach den ersten Treffen ging sie sehr offen mit der Erkrankung um. Wir hatten dadurch auch verstand, dass Parkinson keine Erkrankung ist, die nur ältere Menschen betrifft. In unserer Gruppe befanden sich einige Menschen, bei denen Parkinson bereits mit 40 Jahren ausgebrochen war.
Meine Mutter versorgte sich damals noch komplett alleine, nur auf das Autofahren verzichtete sie fortan. Stattdessen war sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder aber zu Fuß unterwegs. In der Gruppe hat man ihr allerdings empfohlen, eine Art Anstecker zu tragen, auf dem stand, dass sie Parkinson hat. Irgendwie gab ihr das Sicherheit, da dieser Anstecker anderen gewisse Schwierigkeiten erklärte und sie nicht mehr befürchten musste, für alkoholkrank gehalten zu werden. Das wollte sie nämlich auf keinen Fall.
Wie war dann der weitere Verlauf der Erkrankung?
Zunächst kam es immer mal wieder vor, dass sie sich zu Fuß irgendwohin aufgemacht hatte, aber sich nicht mehr in der Lage fühlte, alleine nach Hause zu kommen. Sie rief sich dann ein Taxi oder sprach z. B. an der Kasse im Supermarkt andere Kunden an, die sie dann nach Hause fuhren.
Die Phasen, in denen sie irgendwo blockiert war, nicht mehr aus dem Sessel hochkam oder plötzlich irgendwo stand und nicht mehr weiterlaufen konnte, wurden dann immer häufiger. In der Wohnung wurden einige Veränderungen nötig. Wir haben andere Möbel angeschafft, Teppiche und Schwellen entfernt, über die sie gerne gestolpert ist. Den Urin konnte sie immer schwerer halten, so dass sie Einlagen benötigte. Die Toilette musste auch umgebaut werden. Baden war alleine nicht mehr möglich.
Zunächst konnten wir uns ein paar Jahre mit einem Pflegedienst behelfen, der zweimal täglich nach Hause kam und v. a. beim Waschen, beim An- und Ausziehen anwesend war. An den meisten Wochenenden habe ich diese Aufgabe selbst übernommen. Danach benötigten wir auch jemand für die Zubereitung der Mahlzeiten. Wenn es ging, habe ich vorgekocht.
Welche Unterstützung haben sie sonst noch erfahren?
Meine Mutter lebte schon seit fast 30 Jahren im gleichen Block. Viele Nachbarn kannte sie schon seit Jahrzehnten. Die schauten auch immer wieder untertags vorbei, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Außerdem besorgten wir ihr ein Notrufarmband, mit dem sie sich im Notfall schnell Hilfe holen konnte.
Wir spürten jedoch auch, dass sich einige Nachbarn mit der Situation überfordert fühlten und Angst hatten, in die Verantwortung genommen zu werden, was überhaupt nicht unsere Absicht war.
Lebt Ihre Mutter heute immer noch allein?
Nein. Vor etwa vier Jahren kam es immer häufiger zu Stürzen. Manchmal zu Hause, manchmal auch auf der Straße. Manchmal gingen diese Stürze relativ glimpflich aus und sie trug nur ein paar Abschürfungen davon, manchmal waren die Verletzungen auch schwerer. So brach sie sich einmal den Arm und einmal die Schulter. V. a. die Schulter hat sich davon nie wirklich erholt.
Mit der Zeit setzten auch kognitive Probleme ein. Es gab Tage, an denen sie mich anfangs nicht erkannte und mit einer Bekannten im gleichen Alter verwechselte. Es gab auch Tage, an denen sie behauptete, ich habe eines ihrer Kleider an. An manchen Tagen suchte sie auch nach Worten. Manche Wörter fielen ihr einfach nicht mehr ein. Während sie die ersten Jahre noch Nachbarinnen eingeladen hatte, um mit ihnen gemeinsam Scrabble zu spielen, war dies jetzt nicht mehr möglich. Ihre Lieblingszeitschriften konnte sie jedoch noch weiterhin lesen, musste dabei aber öfter eine Pause einlegen.
Aufgrund der Stürze riet uns dann ein Arzt, einen Heimplatz zu beantragen.
Wie geht es Ihrer Mutter im Heim und wie lange ist sie dort jetzt?
Meine Mutter ist jetzt fast zwei Jahre in einem Heim. Sie fühlt sich dort sicherer. Sie weiß, dass sofort jemand zur Stelle ist, wenn sie Hilfe benötigt. Sie ist jetzt in der zweiten Einrichtung. Ihr hat es in beiden gut gefallen, allerdings war ihr Zimmer in der ersten wesentlich kleiner, und als dann in einer anderen Einrichtung ein wesentlich größeres Zimmer frei wurde, entschied sie sich dazu umzuziehen. Ein zweiter Vorteil war, dass sich diese Einrichtung in nur zehn Fußminuten von meiner Wohnung befindet. Ich kann sie also wesentlich öfter besuchen kommen.
Seit einem Jahr ist sie nun leider komplett auf den Rollstuhl angewiesen. Sie läuft zwar zweimal die Woche mit einem Physiotherapeuten, allein geht dies jedoch nicht mehr. An manchen Tagen ist sie auch im Rollstuhl festgeschnallt, weil sie sonst nach vorne fällt. Auch das Essen fällt ihr häufig schwer. Feste Nahrung kann sie kaum schlucken. Das Heim passt sich da jedoch gut an. Sie bekommt hauptsächlich Suppen, Püree oder Kompott. Trotzdem hat sie in den letzten Jahren stark abgenommen. Aufgrund der vielen Medikamente leidet sie häufig unter Übelkeit und hat einfach keinen Appetit. Ein Eis geht jedoch meistens!
Ihr Zuhause fehlt ihr, aber sie weiß, dass sie dort nicht mehr alleine leben könnte und den ganzen Tag über Betreuung braucht, was ich nicht leisten kann.
Was würden Sie anderen Angehörigen raten?
Es ist sehr wichtig, sich zu informieren und sich mit anderen in einer ähnlichen Situation auszutauschen. Man muss jedoch auch auf sich selbst achten und sich Freiräume schaffen. Das eigene Leben darf nicht aufhören, nur weil ein Familienmitglied schwer erkrankt ist.
Wir danken Ihnen für dieses Interview und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute!