Schizoaffektive Störung: „Ich wusste nur, dass etwas mit mir nicht stimmt ...“
Veröffentlicht am 14.09.2022 • Von Bianca Jung
alof 73, Mitglied der deutschsprachigen Carenity-Community, lebt seit fast 20 Jahren mit einer schizoaffektiven Störung. Er berichtet für Carenity über seinen Alltag mit der Erkrankung sowie über seine Behandlung.
Lesen Sie gleich seine Patientengeschichte!
Hallo alof73, Sie haben sich bereit erklärt, mit Carenity zu sprechen, wofür wir Ihnen danken möchten.
Könnten Sie uns zunächst etwas mehr über sich erzählen?
Ich bin 49 Jahre alt, Single und habe 1 Tochter - 22 Jahre. Sie ist in Leipzig und studiert. Ich habe einen sehr guten Kontakt zu meiner Tochter, sie ist mein ganzer Sonnenschein. Aufgrund der schizoaffektiven Störung bin ich kognitiv eingeschränkt. Der Alltag fällt mir schwer und meist bin ich „ramdösig“. Ich gehe gerne spazieren und surfe oft im Internet. Meine Mutter „kümmert“ sich etwas um mich, aber sie ist auch anstrengend. Ich habe noch einen Garten, wo ich mich auch aufhalte.
Sie sind von Depressionen und einer schizoaffektiven Störung betroffen. Könnten Sie uns sagen, wie viele Jahre lang Sie mit der Erkrankung gelebt haben? Waren sie durchgehend da oder hatten Sie Phasen der Remission und Rückfälle? Was waren Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Meine erste akute Phase hatte ich 2003. Da war ich auch in einem kleinen Krankenhaus, aber niemand konnte mir sagen, was ich habe. Das habe ich erst 2006 erfahren als ich eine akute Phase hatte und in der Psychiatrie war. Dort habe ich überhaupt erstmal viel über psychische Krankheiten erfahren – was ich vorher alles nicht wusste.
Mein Zustand ist oft wechselnd. Selten habe ich Tage, an denen es mir gut geht. Bei mir spielt Schizophrenie, Depression und Manie eine Rolle. Meist bin ich „verdaddelt“ und wie unter einer Glocke, also nicht klar im Kopf. Und die Depression begleitet mich ständig. Bin oft betrübt. Ich mache jetzt schon die 3. Psychotherapie.
Was waren die ersten Symptome? Was hat Sie dazu veranlasst, einen Arzt aufzusuchen?
1999 wurde meine Tochter geboren und 2000 bekamen wir einen neuen Chef, ein sogenannter Manager. Und der hat „geföhnt“. Er war laut und hat gepoltert und wollte einem ein Kind in den Bauch reden. Dann wurde der Stress auf Arbeit immer mehr. Und zu Hause war auch Stress, weil meine Tochter oft krank war und meine Ex-Frau nur schwer zurechtkam. Ich wollte allem gerecht werden. Und 2003 bekam ich Halluzinationen. Ich habe überall Kohlenstaub gerochen und war der festen Meinung, ich hätte Schimmel im Hals. Da war ich in einer akuten Phase und wusste, nicht was es ist. Ich wusste nur dass etwas mit mir nicht stimmt und habe es gar nicht als Krankheit wahrgenommen. Meine Ex Frau hat das alles überfordert und als sie 2004 ausgezogen ist, sagte sie „sieh zu, dass du dein Leben in Griff bekommst“.
Wie wurden bzw. werden Sie behandelt (psychologische Betreuung, Behandlung...)?
Seit 2006 nehme ich Medikamente – Risperdal und ich hatte verschiedene Antidepressiva. Aber keines hat richtig gewirkt. Ich hatte dann auch eine Psychotherapie und war auch in der Tagesklinik. Heute bin ich in meiner 3. Psychotherapie und treffe mich alle 2-3 Wochen mit einer Mitarbeiterin vom sozialpsychiatrischen Dienst.
Wie hat sich die schizoaffektive Störung auf Ihr persönliches und berufliches Leben ausgewirkt?
Ich war noch bis 2010 im Technischen Außendienst. Es wurde immer mehr Stress. Und dann bot man mir an, in Erfurt im Büro zu arbeiten oder ich solle umziehen. Da ging ich ins Büro nach Erfurt, bin jeden Tag 130 km gefahren. Es wurde immer schwieriger für mich, ich war ramdösig und konnte mich kaum konzentrieren. Nach der Arbeit war ich „fertig“ und legte mich hin, damit ich den nächsten Tag wieder schaffe. Ich habe noch mehr oder weniger bis 2013 gearbeitet und war zwischendurch mehrmals längere Zeit in Kliniken, Tagesklinik und Reha. Dann habe ich im Frühjahr / Sommer 2013 einen Rentenantrag gestellt. Ich habe ca. ein halbes Jahr gewartet und dann bekam ich den positiven Bescheid. Ich bin also seit 2013 EU-Rentner. Bis Ende 2018 war ich befristet, jetzt unbefristet.
Meine Lebensqualität im Allgemeinen ließ und lässt zu wünschen übrig. Oft „hänge“ ich rum und kann mich nur schwer beschäftigen.
Wie fühlen Sie sich heute? Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Wie schon beschrieben bin ich oft ramdösig, nicht klar im Kopf, habe Antriebsmangel und eine schlechte Stimmung. Konkrete Pläne habe ich nicht. Mein größter Wunsch ist es, dass es meiner Tochter gut geht und sie Ihren Weg geht.
Was haben Sie aus den Jahren mit Depressionen gelernt? Glauben Sie, dass die Krankheit Sie verändert hat? Wenn ja, auf welche Weise?
Naja, gelernt habe ich eigentlich nur damit umzugehen. Natürlich hat mich die Krankheit verändert, wie schon beschrieben.
War es für Sie leicht, mit Ihren Mitmenschen über die schizoaffektive Störung zu sprechen? Haben sie die Erkrankung verstanden? Haben sie Sie unterstützt?
Anfangs war ich sehr verunsichert. Im Laufe der Zeit habe ich erfahren, dass es besser ist, anderen Menschen offen über seinen eigenen Zustand zu erzählen. Damit sie sich darauf einstellen können und damit umgehen können. Manchmal bekomme ich Ratschläge. Heute habe ich meine Mutter, meine Schwester, meine Tante und ein paar gute Kumpels, die zu mir halten. Das ist schon wichtig solche sozialen Kontakte zu haben.
Was halten Sie von Plattformen für den Austausch zwischen Patienten wie Carenity? Finden Sie dort den Rat und die Unterstützung, die Sie suchen?
Ich finde Carenity gut und habe auch schon viele Beiträge und Erfahrungsberichte gelesen. Das Gute ist, dass sich Patienten austauschen können.
Und schließlich: Was würden Sie Carenity-Mitgliedern raten, die ebenfalls von Depressionen betroffen sind?
Sie sollten sich professionelle Hilfe suchen, wie z. B. Therapeuten und regelmäßig die Medikamente nehmen.
Alles Gute!
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