Eine Patientin spricht über Schizophrenie: Fehldiagnosen, Organisation und Kreativität
Veröffentlicht am 15.01.2019 • Von Louise Bollecker
Adeline Magloire (alias @speedy2519) ist 39 Jahre alt und Mutter eines 16-jährigen Teenagers. Sie leidet unter Schizophrenie und ist aktuell auf Arbeitssuche. Sie hat eingewilligt uns zu erklären, wie die Krankheit wirklich ist.
Wie haben Sie Ihre Schizophrenie entdeckt? Hat es lange gedauert, bis die Ärzte einen Namen für Ihre Symptome gefunden haben?
Im Juni 2017 wurde bei mir Schizophrenie diagnostiziert, nachdem ich 14 Jahre lang wegen einer bipolaren Störung behandelt wurde, was also ein falsche Diagnose war. Der Psychiater, der mich seit 2009 betreut, fragte mich erst 2017, in welchem Alter meine Beschwerden begannen.
Was waren Ihre Symptome? Was empfanden Sie während der Schizophrenieattacken? Wie erklärt man diese oft karikierte Krankheit?
Ich glaubte einmal während einer Krise, dass mir jemand folgte; in einer anderen Krise hörte ich Stimmen, die mir sagten, ich solle meine körperliche Integrität und mein Leben angreifen. Manchmal wache ich auf und weiß nicht, ob ich noch träume oder nicht. Dieses Gefühl hält viele Minuten an.
Ich leide unter Halluzinationen und Wahnvorstellungen, einem allmählichen Verlust des Kontakts mit der Realität. Meine Gedanken und Ideen sind ungeordnet und ich habe Schwierigkeiten, bestimmte Aufgaben zu erfüllen.
Wie haben Ihre Familie und Freunde auf Ihre Symptome und schließlich auf die Nachricht Ihrer Schizophrenie reagiert?
Nicht jeder um mich herum weiß, dass ich schizophren bin. Die Krankheit macht Menschen Angst, die es nicht besser wissen. Diejenigen, die sich dessen bewusst sind, neigen dazu, den Patienten schuldig zu machen und die Auswirkungen der Symptome der Krankheit zu minimieren. Es ist einfach, den Patienten als einen “Jammerlappen” anzusehen, wenn er sich über ein Leiden beschwert, das zwar nicht spürbar, aber sehr wohl real ist! Wenn man also die Krankheit, ihren Namen und ihre Auswirkungen verschweigt, vermeidet man oft Konflikte und das Gefühl, missverstanden zu werden.
Wie können wir sicherstellen, dass Familienmitglieder im Falle einer psychischen Erkrankung echte Betreuer sind (Prävention, Information, Einbeziehung von Familienmitgliedern in den Behandlungs- und Betreuungsprozess usw.)?
Es wäre wünschenswert, dass Angehörige, um echte Betreuer zu sein, den Patienten unterstützen, ohne ihn ersetzen zu wollen. Sie müssen ihn informieren, wenn er auf dem falschen Weg ist, ohne ihm ein schlechtes Gewissen zu machen oder ihn zu belehren. Es wäre wünschenswert, dass sie bei Haushalts- oder Tagesaufgaben helfen: Budgetierung, Terminplanung, etc.
Sie haben mir gesagt, dass Sie sich schuldig fühlen, können Sie mir erklären, woher dieses Gefühl kommt?
Ich fühle mich schuldig wegen meines Sohnes, weil ich zu der Zeit nicht wusste, dass ich diese Krankheit hatte. Zu Beginn, als er noch im Kindergarten war, wurde ich falsch diagnostiziert und schlief 16 Stunden am Tag. Ich hatte Schwierigkeiten, mich richtig um ihn zu kümmern und die Wohnung in einem angemessenen Zustand zu halten. Es war für mich schwierig, eine Aufgabe von Anfang bis Ende zu erledigen.
Umgekehrt ermöglicht Ihnen die Schizophrenie, sensibler, einfühlsamer und kreativer zu sein.
Ich habe die Krankheit zu etwas Positivem gemacht, weil ich Emotionen intensiver empfinde, alles wird verstärkt. Meine Konzentrationsprobleme ermöglichen es mir, Kinder besser zu verstehen und meine Gedächtnisprobleme ermöglichen es mir, ältere Menschen besser zu verstehen.
Die Krankheit erlaubt es mir, auf allen Ebenen kreativer zu sein: Ich male, koche, indem ich meine eigenen Rezepte entwerfe, ich erstelle kurze Texte zu Themen, die mir am Herzen liegen. Da ich nicht wie alle anderen denke, habe ich eine andere Perspektive auf das Leben und die Menschen um mich herum.
Welcher Behandlung gehen Sie nach? Gibt es Nachteile und Nebenwirkungen? Was sind die Vorteile?
Meine derzeitige Behandlung sieht wie folgt aus: Lamictal, Abilify Maintena, Cymbalta und Temesta. Ich kann jetzt eine Aufgabe von Anfang bis Ende durchführen. So kann ich ein ausgeglicheneres Leben führen und ich habe weniger Halluzinationen. Andererseits empfinde ich eine starke Müdigkeit, ich habe Konzentrationsschwierigkeiten und mein Gedächtnis ist beeinträchtigt.
Welchen Rat würden Sie einem schizophrenen Patienten geben, um sein tägliches Leben zu verbessern?
Der Rat, den ich schizophrenen Patienten geben würde, ist sicherzustellen, dass sie ihre Aktivitäten ausüben, indem sie diese priorisieren und nach Wichtigkeit abarbeiten. Ein oder zwei Aufgaben pro Tag mögen im Vergleich zu den anderen trivial erscheinen, aber es ist bereits ein großer Sieg.
Wegen des Gedächtnisverlusts empfehle ich, Aufgaben und Termine zu notieren, zu planen. Sie können Texte und andere wichtige Dokumente auch fotografieren, wenn es nicht möglich ist, diese leicht zu notieren.
Als Fazit würde ich sagen das, wenn man 100 Mal scheitert, es 100 Mal erneut versuchen muss. Ausdauer ist das Beste für Patienten mit unserer Krankheit.
Ein letztes Wort?
Lasst uns jeden Tag genießen, als wäre es unser letzter. Carpe Diem!
Wir danken Adeline vielmals für dieses offene und informative Gespräch und ihre positive Einstellung.
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Hinterlasst gerne einen Kommentar, wenn ihr euch von dem Gespräch betroffen fühlt oder wenn ihr euch über eigene Erfahrungen austauschen möchtet!