Vom richtigen Umgang mit der Angst vor Terror (Interview mit einem Angstforscher)
Veröffentlicht am 20.11.2015 • Von Giovanni Mària
Hallo,
die Attentate in Paris und im Rest der Welt, das geräumte Stadion in Hannover... bewegen uns alle. Der Stern hat angesichts dieser Situation den Angstforscher Borwin Bandelow von der Universität Göttingen zum richtigen Umgang mit der Angst vor Terroranschlägen interviewt. Hier ein Auszug:
Angstforscher: Wie wir alle richtig mit der Angst vor Terror umgehen
Das geräumte Stadion in Hannover, verdächtige Gegenstände auf Bahnhöfen - die Angst vor Terroranschlägen ist längst in Deutschland angekommen. Sie wird unsere Gesellschaft auf lange Sicht dennoch nicht verändern, sagt ein Angstforscher.
Herr Professor Bandelow, seit Tagen ist überall von Terror zu lesen. Viele Menschen sind durch diese Nachrichten beunruhigt und befürchten, dass so etwas auch in Deutschland passieren könnte. Können Sie das verstehen?
Natürlich. Die Menschen sind verunsichert, weil sie denken, dass das nicht das Ende war. Selbst in Paris waren weitere Anschläge geplant, wie wir seit dem Einsatz von Saint-Denis wissen. Bekannt ist ja auch, dass die Terroristen international agieren. Bis auch in Deutschland ein Anschlag passiert, ist es vielleicht wirklich nur noch eine Frage der Zeit. Diese Angst kann man den Menschen nicht nehmen.
Was macht diese gefühlte Angst mit einer Gesellschaft?
Ich glaube nicht, dass sich unsere Gesellschaft nachhaltig verändern wird. Aus früheren Anschlägen etwa in Spanien, Tunesien oder London wissen wir, dass dieses subtile Angstgefühl eine Zeit lang anhält, dann aber wieder vergeht. Meist kehrt nach etwa vier Wochen wieder Normalität ein. Wir laufen dann nicht mehr mit dem Angstgefühl durch die Straßen einer Großstadt oder besuchen mit einem Grummeln im Bauch Fußballspiele oder Konzerte.
Der Mensch ist also von Natur aus ganz gut darin, solche Ängste in der Regel auch wieder zu überwinden?
Ja. Selbst in wirklich gefährlichen Situationen kehrt der Mensch, so gut er kann, zur Normalität zurück. Meine Mutter hat aus ihren Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegsberichtet, wie sie mit ihrer Familie im Bunker saß, draußen flogen die Bomben, Häuser stürzten ein. Natürlich hatten die Menschen Angst. Dennoch haben sie gewartet, bis die Flugzeuggeräusche aufhörten und dann den Bunker verlassen, um Brötchen zu kaufen. Als sie mir das erzählt hat, war es für mich immer unvorstellbar: Wie kann man in einer solchen Lage an Brötchen denken? Selbst in einer schweren und konkreten Gefährdungslage lernen wir, mit der Angst umzugehen. Und eine solche Lage, in der wir täglich mit realen Angstsituationen konfrontiert werden, haben wir momentan ganz sicher nicht.
Wie berechtigt ist die gefühlte Angst denn?
Sie ist insofern berechtigt, da die abstrakte Gefährdungslage, wie es der Innenminister ausdrückt, hoch ist. Doch wir dürfen dabei nicht die Verhältnisse aus den Augen verlieren. Der Terrorismus wie er sich nun zeigt, ist zwar eine relativ neue Gefahr, die uns unberechenbar erscheint. Und das sorgt für ein Gefühl der Hilflosigkeit und Angst. Doch verglichen mit den Favelas in Rio, wo Morde an der Tagesordnung sind, oder dem Alltag in Städten wie Johannesburg, die eine hohe Kriminalitätsrate aufweisen, leben wir in einem relativ sicheren Land. Die Gefahr, in Deutschland durch einen Terroranschlag umzukommen, mag uns kurz nach Anschlägen wie denen in Paris zwar groß erscheinen. Doch tatsächlich ist sie statistisch sehr gering. Das Risiko, durch einen Autounfall zu sterben, ist deutlich größer. Und trotzdem fahren wir weiterhin Auto. 43 Prozent aller Menschen sterben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen - und kaum jemand verändert seinen ungesunden Lebensstil. Ganz im Gegenteil: Durch zu wenig Bewegung und falsche Ernährung steuern wir sogar zielgerichtet auf den Herztod zu. Wir unterschätzen die realen Gefahren und ängstigen uns zu sehr vor abstrakten.
Quelle: stern.de
(Hier geht es auch zum ganzen Interview, das erheblich länger ist.)
LG
Andrea