Süchtig nach Zucker?
Veröffentlicht am 18.04.2017 • Von Giovanni Mària
Süchtig nach Zucker?
Woher kommt bloß dieses wahnsinnige Verlangen nach Süßigkeiten? Macht Zucker wirklich abhängig? Dieser Frage gehen wir mit zwei Experten auf den Grund
Vor Ihnen liegt ein Stück Ihrer Lieblingsschokolade. Eigentlich sind Sie satt, doch Sie stellen sich das Gefühl vor, wenn der Kakao auf der Zunge zergeht... Ihnen läuft das Wasser im Mund zusammen – und schon ist die Schokolade zwischen Ihren Lippen verschwunden.
Woher kommt diese unbeschreibliche Gier nach Süßigkeiten? Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens kann der Mensch nichts dafür. "Die Vorliebe für Süßes ist angeboren, schon frisch geborene Babys reagieren auf eine süße Flüssigkeit mit einem Lächeln", sagt Professorin Susanne Klaus, Biologin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. Unsere frühen Vorfahren lernten, dass süße Lebensmittel nicht giftig waren und zugleich reichlich Energie lieferten. Dieses Wissen verwurzelte sich wohl tief in unserem Inneren. Zweitens schmeckt Süßes einfach gut. Drittens löst Zucker im Gehirn bestimmte Reaktionen aus.
Zucker belohnt das Gehirn
Zucker aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn. Der süße Stoff bewirkt, dass bestimmte Botenstoffe freigesetzt werden, die für Wohlbefinden sorgen. "Experimente zeigen, dass vor allem die Kombination aus Zucker und Fett das Belohnungssystem sehr effektiv anregt", sagt Klaus. Das könnte unsere Vorliebe für Schokolade erklären.
Da der Mensch Belohnungen für sein seelisches Wohlbefinden braucht, wird Ihr Körper Sie immer wieder zu Süßigkeiten verführen – oder zu etwas Vergleichbarem, dass Sie froh stimmt. Daraus kann sich ein Hang nach Süßem entwickeln. "Auch Sucht geht mit einer Vorliebe für etwas Bestimmtes einher", erklärt Professor Falk Kiefer, Suchtforscher am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
Zucker kann suchtähnliches Verhalten auslösen
Experimente an Ratten haben gezeigt, dass sie regelrechte Entzugserscheinungen bekamen, wenn die Forscher ihnen eine vorher verabreichte Zuckerlösung verweigerten. Auch im Gehirn der Tiere kam es zu suchttypischen Veränderungen. Manche Wissenschaftler schließen daraus: Zucker macht süchtig.
Ernährungsexpertin Klaus sieht dies anders: "Solche Untersuchungen lassen sich nur sehr begrenzt auf den Menschen übertragen." Auch Kiefer sagt: "Zucker ist keine Droge wie Heroin oder Nikotin." Das Süßungsmittel sei lediglich ein hervorragendes Belohnungsmittel und könne zu einem suchtähnlichen Verhalten führen.
Wenn Sie sich sagen "Ich brauche jetzt Schokolade", dann bedeutet das nicht, dass Sie sich ähnlich wie ein Süchtiger verhalten. Gegen eine kleine Nascherei nach dem Essen oder einen Kuchen am Sonntagnachmittag spricht nichts. Nehmen Sie allerdings exzessiv viele Süßigkeiten zu sich und versuchen vergeblich, damit aufzuhören, sollten Sie sich unter Umständen Gedanken machen. Denn Sucht bedeutet: Sie möchten mit etwas aufhören, weil Sie merken, es schadet Ihnen. Sie können es aber nicht beenden oder werden immer wieder rückfällig. Insbesondere stark übergewichtige Menschen haben häufig ein gestörtes Essverhalten. Sie können sich nicht bremsen, haben ein vermindertes Sättigungsgefühl. Zugleich wird ihnen bewusst, dass die Völlerei ihrer Gesundheit schadet.
Schadet zu viel Zucker der Gesundheit?
Zucker enthält ziemlich viele Kalorien. Wird er zusammen mit Fett aufgenommen, werden zum Teil richtige Kalorienbomben daraus. Der Zucker gelangt zudem sehr schnell ins Blut und lässt den Insulinspiegel in die Höhe schnellen. Langfristig kann ein erhöhter Zuckerverzehr zu Übergewicht beitragen. "Gerade zuckerhaltige Limonaden liefern jede Menge Kalorien, die Sie kaum wahrnehmen", erläutert Ernährungsexpertin Klaus. Übergewicht gilt als bedeutender Risikofaktor für Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten.
st süßes Obst eine Alternative zu Schokolade?
Süß schmecken ein Apfel oder eine Melone auch, schließlich steckt in ihnen Fruchtzucker. Doch gegenüber einem Stück Schokolade, einer Kugel Eis oder einer Cremetorte haben die Früchte kaum eine Chance. "Obst aktiviert nicht das Belohnungssystem, das ist das Problem", so Klaus. Des Weiteren spiele die Konsistenz des Lebensmittels eine große Rolle: Schokolade schmilzt auf der Zunge und erzeugt ein angenehmes Gefühl im Mund. Ein knackiger Apfel kann da einfach nicht mithalten.
Möchten Sie Ihren Zuckerkonsum einschränken, helfen unter Umständen süße Alternativen. Süßungsmittel wie Honig, Zuckermelasse und Ahornsirup haben einen intensiven Eigengeschmack. Vielleicht reichen Ihnen deshalb kleinere Mengen, wozu Fachleute ohnehin raten. Denn: Honig, Sirupe und dergleichen haben meist ähnlich viele Kalorien wie weißer Zucker. Rohrzucker entspricht in der ernährungswissenschaftlichen Bewertung dem weißem Zucker, daran ändern auch minimale Unterschiede aufgrund Art und Grad der industriellen Verarbeitung nichts. Süßstoffe einschließlich verschiedener Stevia-Produkte kommen dagegen ohne Kalorien aus und haben eine höhere Süßkraft als Zucker. Je nach Süßungsmittel (zum Beispiel herkömmliche Süßstoff-Tabletten) brauchen Sie deutlich weniger davon. Experten empfehlen sie jedoch nicht ausdrücklich.
Tipp: Verwenden Sie als Durstlöscher Wasser oder ungesüßte Tees statt Cola-Getränken, Sport- und Energy-Drinks und Fruchtsäften, die nicht hundertprozentig Fruchtsäfte sind. Säfte mit hundert Prozent Fruchtanteil enthalten jedoch natürlichen Fruchtzucker. Sie sollten auch diese Produkte bewusst in Maßen genießen. Apropos Wasser: Ein Spritzer Zitrone oder ein paar Pfefferminzblätter geben ihm mehr Geschmack.
Fazit: Zucker macht nach derzeitigem Wissensstand nicht abhängig, löst aber im Gehirn Belohnungsreaktionen aus, die zu suchtähnlichem Verhalten führen können. Möchten Sie weniger Zucker essen, dann überlegen Sie sich, auf was Sie am ehesten verzichten können oder wobei Sie sparen können. Genießen Sie außerdem Süßigkeiten bewusst und stellen Sie nur eine bestimmte Menge vor sich hin – und nicht die ganze Packung. Und lenken Sie das Gehirn ab: mit körperlicher Bewegung und ausreichend Schlaf.
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