Behinderte Kinder: Fixieren und Einsperren als pädagogische Maßnahme?
Veröffentlicht am 08.04.2016 • Von Giovanni Mària
Wenn behinderte Kinder weggesperrt werden müssen
Viele Heime in Bayern nutzen für geistig behinderte Kinder Time-out-Räume, zeigt eine Umfrage. Doch das Fixieren und Einsperren von Kindern als pädagogische Maßnahme ist höchst umstritten.
Die Wellen in den Medien schlagen hoch, die Öffentlichkeit gibt sich empört. Seit der Bayerische Rundfunk darüber berichtet hat, dass in Heimen im Freistaat geistig behinderte Mädchen und Jungen wiederholt weggesperrt werden, ist das Thema in vieler Munde. Doch bei nüchterner Betrachtung zeigt sich, dass in den allermeisten Fällen gegen das Vorgehen der Mitarbeiter zumindest rechtlich nichts einzuwenden ist.
Die Nutzung sogenannter Time-out-Räume ist erlaubt, sofern die Eltern der Kinder dieser letzten Eskalationsstufe zugestimmt haben. So hat es auch der Bundesgerichtshof entschieden. Betroffen sind den Heimträgern zufolge vor allem Kinder mit Unruhezuständen und aggressiven Tendenzen.
"Schon die Nutzung eines Bettgitters in der Nacht ist eine freiheitsbeschränkende Maßnahme", betont Daniel Wager, Pressesprecher der Diakonie in Bayern. Er sagt das, "um klarzumachen, worüber wir in der Praxis reden". Das Einsperren von Kindern im Tagesverlauf sei "superselten", komme aber vor. Das hat er in den landesweit fünf Einrichtungen erfahren, die als Mitglieder der Diakonie behinderte Kinder betreuen. Tenor bei den verantwortlichen Betreuern: Es könne Situationen geben, in denen die Nutzung von Time-out-Räumen als pädagogische Maßnahme nicht zu vermeiden sei.
"Es geht um Deeskalation in Extremsituationen"
Der Bayerische Rundfunk hatte die Frage, ob es freiheitsbeschränkende Maßnahmen in den Heimen gibt, an 30 große Träger im Freistaat geschickt. Ergebnis: 18 Einrichtungen antworteten mit Ja, nur drei Heime mit Nein. Neun Träger antworteten nicht. Die Heime, die einsperren und fixieren, rechtfertigten sich dem Sender zufolge: "Es geht um Deeskalation in Extremsituationen. Alle betonen, dass sie Freiheitsentzug nur in Einzelfällen anwenden, in Abstimmung mit den Eltern und nach Abwägung aller Alternativen."
Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU), sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), "das Wohl der behinderten Kinder steht für mich an erster Stelle". Deshalb würden die Verhältnisse in den Heimen bereits aufgeklärt. Dazu seien alle zuständigen Aufsichtsbehörden in München zusammen gekommen. "Ich habe eine umfassende Kontrolle aller 104 Heime angeordnet", sagte Müller. Außerdem wolle sie für nächste Woche einen Expertenkreis einberufen, dem Vertreter der Einrichtungsträger, der Bezirke, der Behindertenverbände und Eltern betroffener Kinder angehören sollen.
Grenze liegt bei maximal zweimal am Tag für 15 Minuten
Dass das Thema Wegsperren ein heikles ist, weiß auch Diakoniesprecher Wagner: "Deshalb empfehlen wir unseren Einrichtungen, zusätzlich zu der Einwilligung der Eltern noch einen richterlichen Beschluss zu erwirken. "Das geschieht auch schon in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle", wenn auch nur auf freiwilliger Basis, erklärte der Pressesprecher.
Doch selbst dann dürfe das Wegsperren nur nach äußerst eng gefassten Vorgaben geschehen. Etwa, wenn der Gerichtsbeschluss es gestattet, ein Kind maximal zweimal am Tag für 15 Minuten einzuschließen. Auch während dieser Zeit müsse eine fachliche Betreuung sichergestellt sein.
Der Fachverband Evangelische Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie in Bayern empfiehlt den diakonischen Trägern ab sofort selbstverpflichtend einen Beschluss vom Vormundschaftsgericht einzuholen – "sofern eine freiheitseinschränkende Maßnahme überhaupt notwendig ist". Zudem will der Dachverband mit 72 Mitgliedern bereits vorhandene Leitlinien zu den freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in den Einrichtungen überprüfen und bei Bedarf anpassen lassen.
Quelle: welt.de
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