Der plötzliche Verlust von Vermögen macht krank
Veröffentlicht am 04.04.2018 • Von Giovanni Mària
Der plötzliche Verlust von Vermögen macht krank
Wer binnen zwei Jahren drei Viertel seines Vermögens verliert, verdoppelt demnach sein Risiko, in den kommenden zwei Jahrzehnten zu sterben.
Die überraschendste Erkenntnis: Wohlhabend zu sein und diesen Wohlstand zu verlieren, sei fast genau so schlecht für die Lebenserwartung ist wie lebenslange Armut, so die Forscher.
Wie es sich in der Bundesrepublik mit der Häufigkeit und den Folgen individueller Vermögensverluste verhält, ist derzeit noch unklar.
Der Gedanke schnürt wohl dem Hartgesottensten die Kehle zu, selbst wenn doch gerade alles passt, vor allem die Bezahlung im Job. Aber was, wenn dieser Wohlstand plötzlich wegfiele - und es nicht mehr darum geht, den Urlaub in Italien zu bezahlen, sondern darum, sich überhaupt noch ein Dach über dem Kopf leisten zu können? Wer von einem Tag auf den anderen abrutscht, büßt mehr als nur Lebensqualität ein - das gilt insbesondere für Menschen in der Lebensmitte oder im Alter.
Alles zu verlieren erhöht nämlich das Risiko für einen frühen Tod. Das berichten amerikanische Gesundheitswissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts JAMA. Wer binnen zwei Jahren drei Viertel seines Vermögens verliert, verdoppelt demnach sein Risiko, in den kommenden zwei Jahrzehnten zu sterben. Und offenbar sind von diesem Phänomen zumindest in den USA sehr viele Menschen betroffen: Das Team um Lindsay Pool von der Northwestern University in Chicago schreibt, dass in den Vereinigten Staaten jeder vierte Einwohner über 51 Jahren den Großteil seines Wohlstands einbüßt.
Wer sein Geld in der Lebensmitte verliert, stirbt fast genau so früh wie ein lebenslang armer Mensch
"Die überraschendste Erkenntnis unserer Untersuchung war, dass wohlhabend zu sein und diesen Wohlstand zu verlieren, fast genau so schlecht für die Lebenserwartung ist wie lebenslange Armut", sagt Pool, die ihre Daten im Rahmen der Health and Retirement Study am Nationalen Institut für Alternsforschung in Baltimore, Maryland, erhoben hatte. Im Detail untersuchten die Forscher eine Gruppe von 8700 Erwachsenen, die zu Studienbeginn zwischen 51 und 61 Jahre alt waren und über zwei Jahrzehnte beobachtet und befragt wurden.
Schon zuvor hatten Wissenschaftler betrachtet, wie sich Rezessionen und die damit verknüpften finanziellen Verluste auf die körperliche und seelische Gesundheit auswirken. Die aktuelle Studie zeigt, dass solche einschneidenden Veränderungen nicht an Wirtschaftskrisen gebunden sind. Ein Ruin kann immer passieren - wenigstens in den USA.
Wie es sich in der Bundesrepublik mit der Häufigkeit und den Folgen individueller Vermögensverluste verhält, ist derzeit noch unklar. Allerdings gibt es schon seit mehr als zehn Jahren Erkenntnisse über einen klaren Zusammenhang zwischen Armut und schlechter Gesundheit. "Wir sehen auch in Deutschland große Unterschiede in Bezug auf die Mortalität und Lebenserwartung", sagt der Gesundheitsforscher Thomas Lampert vom Robert Koch-Institut in Berlin.
"Nämlich ein mehr als doppelt so hohes Mortalitätsrisiko in der niedrigsten im Vergleich zur höchsten Einkommensgruppe." Das entspreche elf Jahren Unterschied in der Lebenswartung bei Männern und acht Jahren bei Frauen. Wie oft Menschen in Deutschland jedoch finanziell abrutschen und was für Folgen ein solcher Einschnitt für ihre Gesundheit hat, darüber geben die Statistiken keine Auskunft. "Wir haben keine vergleichbaren Daten aus Langzeitstudien", sagt Lampert.
Doch auch die US-Studie hat noch gravierende Lücken. So können die beteiligten Gesundheitsexperten nicht sicher sagen, ob der akute Ruin als solcher die Menschen krank macht, weshalb sie früher sterben. Oder ob es sich um zwei parallel auftretende Phänomene handelt. Studienleiterin Pool glaubt, dass es einen zweifachen Effekt gibt. "Diese Leute zahlen einen hohen seelischen Preis durch den finanziellen Verlust, und sie ziehen sich aus dem Gesundheitssystem zurück, weil sie es sich nicht mehr leisten können." Pool will ihre These in einer nächsten Studie belegen. Bis dahin hofft die Forscherin, dass Ärzte stärker auf den finanziellen Hintergrund ihrer Patienten achten, um Risiken besser einschätzen zu können.
sueddeutsche.de
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