Über Glyphosat ist noch viel mehr zu sagen, aber lesen wir mal, was "MUTTI" zum Reinheitsgebot zu sagen hat....:
Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Festveranstaltung „500 Jahre Reinheitsgebot“ am 22. April 2016
Datum:22. April 2016
Ort:Ingolstadt
Quelle: Offizielle Seite des Bundeskanzleramtes
Sehr geehrter Herr Präsident Eils,
lieber Kollege Christian Schmidt – seines Zeichens amtierender Botschafter des Bieres –,
ich grüße natürlich auch die früheren Botschafter des Bieres, Volker Kauder und Cem Özdemir. Ich weiß nicht, ob auch Frauen Botschafter des Bieres werden können. Ach, Ilse Aigner war es auch – dann kann Gerda Hasselfeldt ja vielleicht auch noch etwas schaffen –; und sie grüße ich jedenfalls auch. Ich grüße alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag und aus dem Bayerischen Landtag – natürlich vor allem dich, liebe Ilse, Frau Staatsministerin – und den Herrn Oberbürgermeister, Herrn Lösel, ganz herzlich.
Meine Damen und Herren, natürlich freue ich mich, heute hier mit dabei zu sein. Ich habe ja als Bundeskanzlerin tagtäglich mit neuen Gesetzen, Reformen und Verordnungen zu tun. Aus dieser Perspektive kann ich nur anerkennend sagen: Das muss ein Gesetzgeber erst einmal schaffen – eine Vorschrift zu treffen, die auch 500 Jahre später im Kern noch gilt und dann sogar noch groß gefeiert wird. Das Reinheitsgebot ist ein solcher Ausnahmefall. Bier ist, kann man in modernen Worten sagen, ein Beispiel für Nachhaltigkeit.
Deshalb grüße ich auch ganz herzlich Max Straubinger – das habe ich eben vergessen –, der zusammen mit Christian Schmidt wesentlich dazu beigetragen hat, dass ich die Reise hierher angetreten habe. An einem Morgen haben Sie mich überzeugt: Es geht gar nicht anders, als dass ich an diesem kulturellen Ereignis teilnehme. Danke für die Überzeugungsarbeit.
Im April 1516 – genauer: am 23., wie überliefert ist – verkündeten die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. ihre Regeln zur Herstellung von Bier und zu seinem Verkauf. Interessant ist, dass dieser Verkündung auch schon jahrhundertelange Diskussionen darüber vorausgingen, welche Regeln man für das Bier machen könnte. Mir ist aufgefallen, dass in Augsburg bereits 1156 in der „Iustitia Civitatis Augustensis“ noch nicht von gutem Bier die Rede war, aber davon, dass es kein schlechtes Bier geben darf und dass man, was heute auch noch Bedeutung hat, genug davon ausschenken muss und beim Einschenken nicht zu viel einsparen darf. Die Sache hat sich dann fortentwickelt. Und man sieht, dass Bayern sozusagen schon immer die Fortentwicklung des Bieres bestimmt hat, eben bis zum Höhepunkt durch den Erlass des Reinheitsgebots. Von da an hat sich so gut wie nichts mehr geändert. Wir zehren also heute noch von diesem Erlass. Deshalb ist es natürlich richtig und wichtig, dass hier in Ingolstadt tagelange Jubiläumsfeiern stattfinden und sich alle, die mit Bier zu tun haben, sozusagen auch noch mit Ingolstadt beschäftigen können.
Vor 500 Jahren war es schon sehr wichtig, ausufernden und teilweise lebensgefährdenden Experimenten ein Ende zu setzen. Ich habe mir einmal durchgelesen, was alles früher in das Bier hineingemacht werden durfte; die Liste reicht bis hin zu Narkotika. Dann hat man aber doch mehr auf die Gesundheit der Menschen geachtet. Die Politik hat damals das Bier verträglicher gemacht. Ob allerdings umgekehrt das Bier sozusagen die Politik verträglicher gemacht hat, ist immer noch eine offene Frage. Reichskanzler Bismarck hat seine Zweifel geäußert, als er seinerzeit meinte: „Es ist ein Grundbedürfnis der Deutschen, beim Biere schlecht über die Regierung zu reden.“ Auch das hat sich einigermaßen gehalten, glaube ich – außer natürlich, wenn es um die Bayerische Staatsregierung geht.
Allerdings: Bier und Politik bilden nicht selten eine Liaison, wenn auch eine spannungsgeladene. Zum Stammtisch gehört Politik genauso wie Bier zum politischen Aschermittwoch. Politische Entwicklungen und Äußerungen bieten seit jeher Anlass, bei einem Bier näher erörtert zu werden. Vielleicht erinnern sich manche noch: Sogar der Bierdeckel war einmal Gegenstand steuerrechtlicher Reformvorschläge. Vielleicht würde ohne die schiere Endlosigkeit immer neuer politischer Fragen das eine oder andere Bier weniger getrunken werden. Aber diese Themenvielfalt allein reicht natürlich nicht aus, um den Bierkonsum zu erklären. Sonst müsste die Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs anders aussehen.
Der Bierabsatz stagniert hierzulande – wenn auch auf hohem Niveau. Allerdings ist festzuhalten, dass der Export für die deutschen Bierbrauer an Bedeutung gewonnen hat. Immerhin fließen schon fast 17 Prozent ins Ausland. Es gibt in vielen Wirtschaftszweigen ähnliche Trends. Das heißt, die deutsche Wirtschaft insgesamt profitiert von der Globalisierung und treibt sie inklusive des Biers zugleich mit voran. Das ist nur möglich, weil unsere Unternehmen mit Qualität auf den Weltmärkten zu überzeugen wissen. Und das gilt auch für deutsches Bier, das Weltruf genießt. Dabei stehen die europäischen Partner ganz vorne. Also ist die EU auch für deutsches Bier der größte Binnenmarkt der Welt. Es erfreut sich aber auch außerhalb Europas wachsender Beliebtheit.
Daher ermuntere ich die Kritiker von Freihandelsabkommen, noch einmal genau nachzudenken, welche Chancen sich doch auch im Bierhandel ergeben. Ich weiß, dass es insgesamt durchaus Fragestellungen im Hinblick auf die Vereinigten Staaten von Amerika gibt. Zwischen den USA und der EU bestehen zwar bereits enge Handelsbeziehungen, aber wir könnten sie durch ein Partnerschaftsabkommen noch besser gestalten. Es bestehen Zölle und vor allem auch bürokratische Hürden. Man könnte es mit deren Abbau doch ermöglichen – so meine Überzeugung –, dass viele mittelständische Brauereien, die heute noch kaum Möglichkeiten haben, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen, bessergestellt werden würden.
Schon Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, vertrat die Ansicht: „Bier ist der überzeugendste Beweis dafür, dass Gott den Menschen liebt und glücklich sehen will.“ Wenn das kein gewichtiger Grund für ein transatlantisches Abkommen ist. Es geht dabei nicht allein darum, den Handel über den Atlantik hinweg zu erleichtern, sondern es geht auch darum, weltweit neue Chancen für Wachstum und Beschäftigung zu finden. Es geht angesichts der Größe des transatlantischen Wirtschaftsraums auch darum, gemeinsam Standards zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass sie global durchgesetzt werden. Das gilt im Hinblick auf Lebensmittel insgesamt. Und das gilt eben auch dafür, immer wieder für das Reinheitsgebot zu werben.
Wir wollen in Zeiten der Globalisierung natürlich auch die Frage der geografischen Herkunftsangaben vorantreiben – uns wie vielen anderen europäischen Partnern ist daran sehr viel gelegen –, denn es schwingt darin natürlich ein Stück Kulturstolz auf ortstypische oder regionale Eigenheiten mit. Das gilt auch für das Markenzeichen Bier, das sich in jüngster Zeit mit einer unglaublichen Vielfalt regional entwickelt hat. Ich finde, das ist ein Beispiel dafür, dass Menschen Heimat brauchen, Unterscheidbarkeit brauchen und Bindung brauchen. Und dazu leistet das Bier einen guten Beitrag.
Wer sich die Liste der bisher geschützten geografischen Angaben für Biere anschaut, stellt fest, dass sich bayerische Brauereien ihrer Heimat offenbar besonders verbunden fühlen. So war es auch eine bayerische Brauerei, die sich Ende der 90er Jahre als erste um ein solches Gütesiegel bemühte. Auch heute sind es vor allem Biere aus Bayern, die eine geschützte geografische Angabe auszeichnet. Mit dem Export steigert so mancher Ort seinen Bekanntheitsgrad weltweit. Und wenn das dann noch mit Gestühl, Gläsern und Umrahmungen wie landestypischer Musik verbunden ist, dann kann man (…) Der Schwerpunkt lag auf Musik. Allerdings habe ich erst bei der Ankündigung gesehen, dass es sich um ein lokales Orchester handelt.
Es stellt sich immer auch die Frage, wenn man sich an das Reinheitsgebot hält: Bedeutet das Einschränkungen oder bedeutet das Vorteile gegenüber Konkurrenten? Es gibt durchaus Spielraum angesichts der Vielfalt, die deutsche Biere, die nach dem Reinheitsgebot gebraut werden, entwickelt haben. Es zeigt sich viel Kreativität in dem, was aus wenigen Ingredienzien gemacht wird. Vier Substanzen und trotzdem so eine Variabilität – das zeigt, dass der Deutsche Brauer-Bund, der ja von mehr als 5.500 heimischen Biermarken spricht, doch dafür Sorge trägt, dass sich für jeden Geschmack etwas findet. Wir wissen ja, dass selbst Wasser nicht gleich Wasser ist. Wir wissen, dass alles, was auf dem Boden wächst, eben auch je nach Boden den Geschmack beeinflusst. Außerdem ist ja die Konzentration von allem immer auch eine Möglichkeit der Variation.
In den letzten Jahren erlebten wir einen regelrechten Boom bei kleinen Brauereien. Sie zeichnen sich auch durch Experimentierfreude aus, was etwa die sogenannten Craft-Biere anbelangt – und das unter Beachtung des Reinheitsgebots. Die Innovationsfähigkeit spiegelt sich nicht nur im Endprodukt Bier wider, sondern neben der Sortenvielfalt auch im Produktionsablauf. Dabei sind auch Brauer von den Vorteilen und Möglichkeiten des modernen Wirtschaftens zum Beispiel durch die Digitalisierung tangiert. Eine Vernetzung kompletter Produktions- und Lieferketten kann den Herstellungsprozess effizienter machen. Deshalb versucht die Bundesregierung natürlich gute Rahmenbedingungen für alle Bereiche der Produktion und der Lieferkette – von den Produzenten der Rohstoffe, den Landwirten, den Bäuerinnen und Bauern bis hin zum Kunden – zu schaffen.
Auch in der Landwirtschaft, die eng mit der Bierfrage verbunden ist, werden immer wieder neue Konzepte entwickelt. Der Landwirtschaftsminister weiß das. „Precision Farming“ ist ein Schlagwort – das wollen wir allerdings dann auch auf Deutsch haben, denn bei Bier und 500 Jahren Reinheitsgebot verbieten sich Anglizismen eigentlich; also Präzisionslandwirtschaft. Ein bisschen mehr Beifall könnte es in Bayern geben. Es geht ja auch immer wieder darum, Tradition und wirtschaftliche Effizienz zusammenzubringen.
Meine Damen und Herren, wir vertrauen darauf, dass unsere Nahrungs- und Genussmittel in Ordnung sind, dass wir sie frei von Gefahren für unsere Gesundheit genießen können. Dieses Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher ist entscheidend. Das wissen natürlich auch die Brauer, denn Verlässlichkeit ist Kernpunkt des Reinheitsgebots. Hinzu kommt noch die moderne Lebensmittelaufsicht. Sie ist wirkungsvoll. Das gilt auch in der gegenwärtigen Diskussion um Glyphosat im Bier. Da muss man doch wiederum über die Konzentration und die Dosis reden. Ich habe mir vor Augen geführt, dass man irgendwie 1.000 Liter Bier am Tag trinken müsste, um in Bereiche zu kommen, in denen die Sache diskussionswürdig werden würde. Da, glaube ich – bei aller Hochachtung vor dem Bier –, würden vorher andere gesundheitsschädliche Wirkungen auftreten, es sei denn vielleicht, es wäre alkoholfrei.
Als vor vielen Jahren der Ruf nach alkoholfreiem Bier laut wurde, haben deutsche Brauereien diese Nachfrage schnell und professionell bedient. Ich habe von Christian Schmidt gelernt, dass jetzt auch die entsprechende Kennzeichnung möglich ist. Alkoholfreie Biere führen längst kein Nischendasein mehr und verbessern auch die Tagesaktivitäten, weil man manches parallel machen kann: Bier trinken und noch vernünftige Dinge von sich geben.
Mit oder ohne Alkohol, Genießer des Gerstensafts können ohnehin sehr wählerisch sein, gerade weil sie eine große Wahlfreiheit haben – dank der Bierbrauer, die es verstehen, den Wandel der Zeiten und Geschmäcker richtig aufzunehmen. Eines muss man nämlich sehen: Die Gabe des Bierbrauens will gelernt sein. Das System der dualen Berufsausbildung und die Qualifizierung an unseren Hochschulen sichern den Fachkräftenachwuchs. Ilse Aigner hat ja eben auch darüber gesprochen.
Meine Damen und Herren, die Welt hat sich ohne jeden Zweifel in den vergangenen 500 Jahren sehr gewandelt, das Reinheitsgebot aber war und ist in seinem Kern von Bestand. Es ist Teil der Erfolgsgeschichte des Bieres, vielleicht sogar die wesentliche Voraussetzung für diese Erfolgsgeschichte. Das ist eine Erfolgsgeschichte, hinter der fraglos viel Leidenschaft und viel Arbeit steckt – auf den Feldern, in den Hopfengärten, in Mälzereien, in Brauereien, im Verkauf und im Ausschank. Deshalb feiern wir nicht nur eine 500 Jahre alte Vorschrift als Eckpfeiler deutscher Brautradition, sondern wir feiern auch all diejenigen, die aus dieser Regelung das Allerbeste machen. Denen sei an diesem Tag auch einmal in umfassendem Sinne herzlich gedankt.
Als Protestantin sei mir noch ein Hinweis auf Martin Luther erlaubt, der ja zur Zeit des Reinheitsgebots gelebt hat, allerdings die Reformation erst danach stattfinden ließ. Die erste Revolution passierte schon mit dem Reinheitsgebot. Nach 500 Jahren Reinheitsgebot werden wir nächstes Jahr auch 500 Jahre Reformation feiern. Beides hat zwar mit Sicherheit sehr wenig miteinander zu tun. Trotzdem ist manche Aussage bemerkenswert, die von Martin Luther überliefert ist, wie etwa: „Wer kein Bier hat, hat nichts zu trinken.“ Das brauchen wir wahrlich nicht für bare Münze zu nehmen, dennoch können wir heute, ein halbes Jahrtausend später, feststellen, dass wir unseren vielen und guten Brauereien dankbar sein können. Denn sie zeigen, dass es ihre Stärke ist, Überliefertes und Fortschrittliches, Tradition und Innovation erfolgreich zu verbinden. Notwendige Veränderungen haben die deutschen Brauer stets erfolgreich vorgenommen. Beharrlichkeit und Innovationskraft waren und sind wesentlich. Ich sehe die deutschen Brauer daher auch für die zukünftigen Herausforderungen gut gerüstet. Dass es sich bei der Brautradition auch noch um ein immaterielles Kulturgut handelt, wie man in Bayern sagt, unterstreicht dies noch einmal.
Ich wünsche weitere 500 erfolgreiche Jahre Reinheitsgebot und damit auch für das Brauwesen. Setzen Sie sich weiter tapfer dafür ein und ermuntern Sie die Menschen, dabei mitzumachen, indem sie das Bier dann auch trinken.
Herzlichen Dank.