Künstlicher Mutterleib soll Frühchen helfen
Veröffentlicht am 27.06.2017 • Von Giovanni Mària
Künstlicher Mutterleib soll Frühchen helfen
Forscher haben einen Beutel entwickelt, der die Gebärmutter nachahmt. Sie hoffen, dass er künftig die Versorgung von Frühchen verbessert. Getestet haben sie das System bei Lämmern.
Babys, die extrem früh zur Welt kommen, haben meist einen schweren Start ins Leben. Heutzutage können - zumindest in der westlichen Welt - selbst Kinder überleben, die nach 22 Schwangerschaftswochen mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm geboren werden. Allerdings ist die Sterblichkeit in dieser Gruppe noch immer hoch und bei vielen Kindern bleiben gesundheitliche Schäden zurück. Etwa ab der 28. Schwangerschaftswoche sinkt das Risiko gesundheitlicher Schäden erheblich.
Weltweit suchen Forscher daher nach Möglichkeiten, Frühgeborene zu schützen. US-Wissenschaftler um Emily Partridge vom Children's Hospital in Philadelphia haben jetzt eine Art künstliche Gebärmutter außerhalb des Mutterleibs entwickelt und diese mit unreifen Lämmern getestet, wie sie im Fachjournal "Nature Communications" berichten.
Das System soll die Bedingungen in der Gebärmutter bestmöglich nachahmen und den Frühchen "eine Brücke in die Welt" bieten, wie sie in ihrem Beitrag schreiben. Eine Anwendung beim Menschen verbietet sich allerdings derzeit noch, weil es bei den Experimenten Komplikationen gab, so die Forscher.
Heranreifen im Beutel
Nach vielen Vorversuchen hatten sie ein ausgereiftes System an acht Lämmern getestet, die nach einer Tragzeit von 105 bis 120 Tagen per Kaiserschnitt geboren worden waren. Ihr Entwicklungsstand entsprach etwa dem von Frühchen im Alter von 23 bis 24 Wochen.
Die Forscher schlossen die Nabelschnur der Lämmer schnellstmöglich über Kanülen an eine künstliche Plazenta an. Das Herz der Lämmer pumpte das Blut selbstständig über die Nabelschnur nach außen zu dieser Maschine. Sie tauscht Sauerstoff und Kohlendioxid aus, bevor das Blut zum Fötus zurückfließt. Es sei wesentlich, dass das System ohne Pumpe auskomme, schreiben die Forscher. Dadurch verringere sich das Risiko, dass das winzige kindliche Herz durch einen Überdruck geschädigt wird. Einige der beteiligten Wissenschaftler halten ein Patent auf so ein "extrakorporales Lebenserhaltungssystem".
Außerdem betteten die Forscher die Lämmer in einen Beutel, den sogenannten Biobag. Dieser wurde mit künstlich erzeugtem Fruchtwasser gefüllt, das beständig ausgetauscht wurde. Die acht Lämmer blieben zwischen knapp drei bis vier Wochen in dem Beutel - ohne ersichtlichen Schaden zu nehmen. Die Tiere öffneten die Augen, schluckten Fruchtwasser, bekamen ein Fell und wuchsen altersentsprechend. Während ihrer Beutelzeit entwickelten sie einen normalen Schlaf-Wach-Rhythmus und machten insgesamt einen wohlbehaltenen Eindruck, schreiben die Forscher. Zwar gab es Komplikationen, schwere Schäden an Herz oder Gehirn wurden aber nicht festgestellt.
"Fötale Lungen sind dafür gemacht, in Flüssigkeit zu funktionieren", erläutert Mitautor Marcus Davey. "Wir simulieren diese Umgebung und erlauben den Lungen und anderen Organen, sich zu entwickeln, während wir Nährstoffe und Wachstumsfaktoren bereitstellen." Innerhalb des Beutels lassen sich sterile Bedingungen aufrechterhalten, Infektionen könnten so verhindert werden. Zudem seien andere Faktoren wie Temperatur, Druck und Lichtbedingungen kontrollierbar.
"Großer Schritt vom Schaf zum Menschen"
Die Forscher betonen, dass ihre Versuche nicht unmittelbar auf menschliche Frühchen übertragen werden können. Menschliche Föten seien relativ gesehen kleiner als Lämmer zu einem vergleichbaren Entwicklungszeitpunkt, das System müsse daran angepasst werden. Auch die Gehirnentwicklung verlaufe beim Menschen anders. Fraglich sei bisher auch, wie die Verknüpfung zwischen Nabelschnur und Maschine bei menschlichen Babys erfolgen könnte.
Auch deutsche Experten weisen darauf hin, dass die Methode noch hochexperimentell ist und über Jahre weiterentwickelt werden müsste. "Der Schritt vom Schaf zum Menschen ist ein großer", sagt Rolf Maier vom Universitätsklinikum Marburg, Präsident der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI). "Rein technisch ist das ein großer wissenschaftlicher Fortschritt, die weitere Entwicklung dieser Technologie muss jedoch auch mit großer ethischer Gewissenhaftigkeit erfolgen."
Sie arbeiteten nicht daran, Überlebensmöglichkeiten für immer kleinere Frühchen zu schaffen, so die Forscher. Vielmehr sollten die Bedingungen für diejenigen Frühgeborenen verbessert werden, die auch heute schon in den Kliniken versorgt werden. "Dieses System ist vermutlich dem weit überlegen, was Krankenhäuser heute für ein Baby tun können, das in der 23. Schwangerschaftswoche an der Schwelle zur Lebensfähigkeit geboren wird."
Ethisches Dilemma
Dass Eltern möglicherweise Probleme hätten, ihr Baby in einem Beutel aufbewahrt zu sehen, ist den Forschern bewusst. Die Alternative sei, das Baby an einer Beatmungsmaschine im Brutkasten zu versorgen. "Wir denken, dass es Eltern beruhigen wird, zu wissen, dass sich ihr Kind in einer relativ schützenden und physiologischen Umgebung befindet", schreiben die Wissenschaftler. Das System könne so angepasst werden, dass sich die Eltern mit ihrem Baby verbunden fühlen - über Ultraschall, Kameraaufnahmen oder die Möglichkeit, mütterliche Herztöne und andere Umgebungsgeräusche vorzuspielen.
Nach Ansicht von Rolf Maier von der Fachgesellschaft GNPI spielt die natürliche Umgebung und das Wechselspiel zwischen Mutter und Kind eine wesentliche Rolle für die gesunde Entwicklung eines Fötus, und zwar auch auf lange Sicht. Inwieweit die Gesundheit durch eine Entwicklung außerhalb des mütterlichen Körpers möglicherweise beeinträchtigt wird, sei derzeit unklar. Er weist zudem darauf hin, dass die Überlebenschancen dieser Gruppe extrem Frühgeborener europaweit schon erheblich verbessert werden könnten, wenn alle Kinder nach den gegenwärtigen Leitlinien behandelt würden.
spiegel.de
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