Menschlichkeit in der Ferndiagnose
Veröffentlicht am 23.05.2017 • Von Giovanni Mària
Menschlichkeit in der Ferndiagnose
Als ein Hackerangriff britische Kliniken lahmlegte, mögen sich Technikskeptiker bestätigt gesehen haben. Doch die wahre Herausforderung der Digitalisierung in der Medizin ist eine ganz andere.
Ein Krankenhausaufenthalt ist ja ohnehin schon ein eher wenig erfreuliches Ereignis; richtig unangenehm wird es jedoch, wenn ein Hackerangriff die Klinik lahmlegt - so wie vor wenigen Tagen in Großbritannien, als der Trojaner "WannaCry" weltweit sein Unwesen trieb. Kritiker einer zunehmenden Digitalisierung der Medizin mögen sich nun in ihrer tiefen Skepsis bestätigt sehen: Je mehr die ärztliche Behandlung von Patienten daran hängt, dass der Computer auch funktioniert, desto mehr werde der Kranke einem Risiko ausgesetzt, heißt es dann gern.
Dabei ist die eigentliche Herausforderung der Digitalisierung eine ganz andere. Man kann nur hoffen, dass die Mediziner das erkennen, wenn ihre Repräsentanten von diesem Dienstag an in Freiburg zum Deutschen Ärztetag zusammenkommen. Denn die Digitalisierung verändert vor allem das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Moderne Technik macht es theoretisch möglich, dass Kranke nicht mehr von ihrem Dorf in die weit entfernte Uniklinik fahren müssen, um einen Spezialisten zu sehen. Schon heute kann man seine Leberflecken mit dem Mobiltelefon abfotografieren und über eine App an einen Hautarzt schicken - nur wenn der etwas Ernstes vermutet, muss ein Praxistermin her. Die Digitalisierung bietet der modernen Medizin also zweifellos zahlreiche Möglichkeiten, um effizienter und damit günstiger zu arbeiten: Unnötige Doppeluntersuchungen könnten durch besseren Datentransfer verringert und leichte Fälle rasch abgeklärt werden. Der Arzt kann so möglichst viel von seiner Aufmerksamkeit den wirklich Hilfebedürftigen widmen.
Leberflecken werden bereits vom Hautarzt per App untersucht
In einer Zeit, in der sich das Gesundheitswesen so schnell und so umfassend verändert wie lange nicht, braucht es jedoch Ärzte, die in doppelter Hinsicht kompetent sind. Sie müssen nicht nur wie bisher ihr Handwerk beherrschen, also fehlerfrei operieren, die richtigen Medikamente verabreichen. Sie müssen auch in der Lage sein, die Folgen der Digitalisierung kritisch und stets im Interesse ihrer Patienten zu beurteilen.
in Arzt, der sich der schönen neuen Welt aus Prinzip verweigert, enthält ihnen möglicherweise die beste Behandlung vor. In der modernen Krebstherapie zum Beispiel liegen gerade viele Hoffnungen auf Big-Data-Anwendungen, bei denen die Gene des Patienten mit einer Datenbank abgeglichen werden. Dann wird geschaut, welche Patienten welche Chemotherapie mit ähnlichen Merkmalen besonders gut vertragen haben. Gleichzeitig setzt aber, wer kritiklos jedem neuen Trend nachläuft, seine Patienten womöglich einem Risiko aus. Gerade Klinikärzte standen schon immer im Verdacht, statt Menschen nur Diagnosen zu sehen. Wenn der "Beinbruch in Zimmer sieben" bald auf dem Monitor einfach weggeklickt werden kann, dann besteht das Risiko, dass das Menschliche noch etwas mehr in den Hintergrund rückt.
Vieles deutet darauf hin, dass sich die Mediziner ihrer neuen Verantwortung bereits bewusst geworden sind. In einem Leitantrag, der auf dem Ärztetag beschlossen werden soll, fordert der Vorstand der Bundesärztekammer die Politik auf, eine Digitalisierungsstrategie zu beschließen. Darin sollen auch die "ethischen Grundsätze zum Umgang mit neuem Wissen und neuen Methoden" hervorgehoben werden. Dabei geht es vor allem darum, die Behandlung bedingungslos am Wohl des Patienten auszurichten. Und es wird davor gewarnt, dass Gesundheits-Apps und Telematik-Dienste schon bald neue Geschäftsmodelle sein könnten, die sich vom individuellen Arzt-Patienten-Verhältnis abkoppeln. Dass eine solche Entmenschlichung der Medizin keinesfalls zugelassen werden soll, wäre ein starkes Signal des diesjährigen Ärztetags.
sueddeutsche.de
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