Verräterische Krebsspuren: Am Biomarker hängt alles
Veröffentlicht am 12.12.2017 • Von Giovanni Mària
Verräterische Krebsspuren: Am Biomarker hängt alles
Eine Therapie für alle, das ist Vergangenheit in der Krebstherapie. Wer welche Behandlung erhält, das entscheiden spezielle molekulare Spuren, die im Körper der Patienten gefunden werden. Ist das auch der Weg zur Krebsvorhersage?
In der Medizin werden viele Entscheidungen an Biomarkern festgemacht. Das sind charakteristische biologische Merkmale, die sich messen lassen und die Informationen zur Krankheit oder zum Ansprechen der Therapie liefern. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat vor wenigen Monaten ein Krebsmedikament zugelassen, dessen Verordnung allein an den Nachweis eines Biomarkers gebunden ist, nicht an die Lage des Tumors oder seine Gewebeeigenschaften.
Mit anderen Worten: Für die Verordnung zählt nur, ob der Tumor über den Biomarker verfügt oder nicht. Ob es sich um Krebs in der Brust, der Bauchspeicheldrüse, der Prostata, im Darm oder an einer anderen Stelle des Körpers handelt, ist irrelevant. Wie radikal diese Abkehr von der bisher üblichen Vorgehensweise ist, haben Steven Lemery von der FDA und zwei seiner Kollegen unlängst in der Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ deutlich gemacht.
Bei dem Biomarker handelt es sich um die mangelhafte Fähigkeit gewisser Tumore, die Fehler, die beim Kopieren der DNA auftreten, korrigieren zu können. Diese Eigenschaft führt dazu, dass die Tumorzellen nicht Dutzende von Mutationen ansammeln, sondern Tausende. Der Wirkstoff, der von der FDA für die Behandlung von Tumoren mit diesem Merkmal zugelassen worden ist, heißt Pembrolizumab. Es ist ein monoklonaler Antikörper, der zu den sogenannten Checkpoint-Inhibitoren gehört und der das Immunsystem gegen den Tumor in Stellung bringt.
Der Antikörper kann jetzt in den Vereinigten Staaten bei Patienten eingesetzt werden, deren inoperabler oder gestreuter Tumor wegen seiner Defekte im Reparatursystem eine hohe Mutationslast hat und deswegen ohnehin schon im Visier des Immunsystems ist. In der Zulassungsstudie sind Patienten mit fünfzehn verschiedenen Krebsarten behandelt worden. Allerdings ist es nicht die erste Zulassung für Pembrolizumab. Der Antikörper ist schon vorher zur Behandlung von definierten Tumorerkrankungen zugelassen worden, auch in Deutschland.
Dass jetzt erstmals allein ein Biomarker die Indikation bestimmt, zeigt welche Bedeutung diesen Merkmalen inzwischen zukommt und welche Lenkungsfunktion – und damit auch welche Verantwortung – die Molekularpathologie hat. An Biomarkern festgemachte Therapieentscheidungen müssen absolut verlässlich sein. Dazu muss die Entnahme der Blut- und Gewebeproben standardisiert sein, und die Messungen müssen einer rigorosen Qualitätssicherung unterzogen werden. In Deutschland gibt es dafür ein Qualitätssicherungssystem. Labore, die eine entsprechende Zertifizierung anstreben, müssen in Ringversuchen zeigen, dass sie ausgehändigte Gewebeproben korrekt charakterisieren können.
Die Entscheidung der FDA, die Indikation allein an einem Biomarker festzumachen, wird nicht die letzte Stufe auf der Karriereleiter dieser messbaren Merkmale sein. Die nächste Stufe ist schon in Sicht: die Bioprädiktion. In diesen Fällen werden Biomarker langfristige Vorhersagen über Gesundheit und Krankheit machen – etwa ob jemand in fünf oder in zehn Jahren an einer Alzheimer-Demenz oder an Parkinson erkranken wird oder nicht. Auf die Molekularpathologie werden also noch weitere, bisher ungeahnte Lenkungsfunktionen zukommen.
faz.net