Gesundheit ist das Wichtigste im Leben!
Veröffentlicht am 16.11.2016
Ein Interview mit Gaby, bei der im Jahr 2006 Brustkrebs festgestellt wurde. Eine Diagnose, auf die viele weitere sowie ein langer Leidensweg folgten…
1 - Hallo! Könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen vorstellen?
Ich heiße Gaby, bin 52 Jahre jung, seit 1999 verheiratet. Mein Mann und ich leben zusammen mit unserem 16-jährigen Sohn in Lauingen an der Donau in Bayern. Ich bin gelernte Verkäuferin, mein Mann ist kaufmännischer Angestellter, der Sohn noch Schüler.
2 - Im Jahr 2006 wurde bei Ihnen Brustkrebs festgestellt. Wie kam es zu der Diagnose? War diese Diagnose für Sie überraschend und wie ging es Ihnen unmittelbar danach?
Im März 2006 hatte ich einen Termin beim Frauenarzt zur Krebsvorsorge. Es war alles in Ordnung. Im April 2016 ertastete ich dann selbst etwas Ungewöhnliches – einen Knoten – in meiner linken Brust und hatte sofort ein seltsam beengendes Gefühl, Angst. Also ging ich zum Arzt und wurde dann zur Mammografie geschickt. Jetzt hatte ich schon Panik. Als dann der Arzt das anschließende Gespräch mit den Worten „Ich habe leider keine gute Nachricht für Sie“ eröffnete, schaltete sich mein Verstand komplett aus. Ich wusste sofort, dass meine Vorahnungen eingetroffen waren. Ich wollte und konnte das Gesprochene nicht hören!
Wenige Tage später ging ich dann zur Biopsie. Der Arzt rief mich später zu Hause an und teilte mir mit, dass die Diagnose Brustkrebs lautete und ich mir umgehend eine gute Klinik zur Weiterbehandlung suchen sollte. Ich? Erst nach vier langen Wochen bekam ich einen OP-Termin in einer sehr guten Klinik in der nächsten Großstadt. Ich hatte Brustkrebs!!! Schei…benkleister.
Befund: Mammakarzinom links (auf 11 Uhr), Her-2-neu 0 negativ, ÖR 6/12 PR 4/12
17 Lymphknoten später entfernt, 6 davon bereits befallen.
3 - Wie wurde dieser Brustkrebs behandelt und wie ging es Ihnen während dieser Behandlung?
Der Tumor wurde am 31. Mai 2006 brusterhaltend entfernt (zum Glück – raus!).
Nach acht Tagen betrat eine Ärztin mein Zimmer. An ihrem besorgten Blick erkannte ich, dass etwas nicht stimmte. Mit dem Ergebnis der Operation seien sie nicht zufrieden gewesen. Sie empfahl mir, die Brust gänzlich entfernen zu lassen, da sich hinter dem entnommenen Geschwür noch ein weiteres befand (Jesus!). Die nächste OP fand nach schwerer Entscheidung (Willst du vielleicht weiterleben oder was?) Mitte Juni 2006 statt. Ich stand schon wieder unter Schock. Eine Wahl hatte ich nicht wirklich. Meine Brust war weg und ich bekam in der folgenden Nacht Schüttelfrost und hohes Fieber. Mir ging es total schlecht.
Dann ging alles sehr schnell. Ich wurde wieder in den OP-Raum gebracht und notoperiert. Es waren wohl Gefäße geplatzt. Mein Zustand war miserabel, da ich sehr viel Blut verloren hatte. Ich bekam zwei Blutkonserven und ging dann in diesem Zustand tapfer in zur anschließenden Chemotherapie – alle drei Wochen, insgesamt sechsmal.
Ich durchlebte die Hölle! Sämtliche Nebenwirkungen hatte ich geballt (Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung/Durchfall, Schwäche, Müdigkeit, Schmerzen…) und alle Haare fielen mir aus! Ich war keine Frau mehr und fühlte mich nicht mehr als Mensch. Mir ging es hundeelend!
Als Folge der Anwendung von Cortison hatte ich ein feuerrotes Vollmondgesicht und durch das Tragen einer hässlichen Perücke war ich nicht ich und schämte mich dafür.
Im September 2006 war dann die Einschulung meines Sohnes und mir ging es an diesem Tag extrem schlecht. Nachdem ich mir in der Apotheke entsprechende Spritzen und Medikamente besorgt hatte, war dieser Tag in der Öffentlichkeit dann doch irgendwie überstanden.
Ab Dezember 2006 bis Ende Januar 2007 bekam ich insgesamt 36 Bestrahlungen, welche mich noch mehr schwächten. Ich war sehr strapaziert und ausgelaugt. In der anschließenden dreiwöchigen Reha konnte ich mich etwas regenerieren. Zu Hause nahm ich regelmäßig an Krankengymnastik mit Lymphdrainage und an psychotherapeutischer Behandlung teil. Langsam wuchsen auch meine Haare wieder, jedoch grau.
Ab August 2007 ging ich wieder zur Arbeit, aber ich arbeitete weniger, da mir die Energie und die Kraft fehlten, mein Körper und mein Geist waren noch auf dem Tiefpunkt. Als Nachwirkung der Chemo hatte ich Knochenschmerzen, Probleme mit den Zähnen. Es mussten einige entfernt werden. Ich erhielt eine Teilprothese im Unterkiefer und ich hatte eine Knochennekrose. Im November 2007 wurden mir dann ein verändertes, entzündetes Weichgewebe sowie ein Teil des Knoches entfernt. Wieder starke Zahn- und Kopfschmerzen. Die Probleme dauern bis heute an.
Behandlung zusammengefasst:
CTX im Rahmen der Success-Studie, Tamoxifen über 5 Jahre mit GnRH-Analogen 2 Jahre, Zometa alle 3 Monate 3 Jahre lang/alle 6 Monate 2 Jahre lang, ASS 100, seit 03/2014 Anastrozol 1 mg bis heute, 01/2010 Capeccitabin 500 mg bis heute.
4 - Nach der ersten Diagnose wurden bei Ihnen weitere Tumore festgestellt. Möchten Sie uns mehr darüber erzählen? Wie sind Sie mit diesen erneuten Diagnosen umgegangen?
Im September 2007 kam der nächste Schock: malignes Melanom (0,3 mm) linke Schulter. Es wurde gemeinsam mit 15 weiteren Muttermalen entfernt. Mir ging es sehr schlecht.
Ich wollte doch nur eine gute Mutter sein und jetzt hatte ich doch wieder einmal nur die Angst, dass mir nicht mehr genügend Zeit verbleibt. Schwarzer Hautkrebs – ich konnte und wollte das Wort Krebs nicht mehr hören! Mit zittrigen Knien und empfindlich gereiztem Nervensystem ging ich lustlos im Mai 2008 mit meinem Sohn für drei Wochen zur Mutter-Kind-Kur an die Ostsee.
Mein Mann hat mich und meinen Sohn immer in jeder freien Minute unterstützt, obwohl er einen Full-Time-Job hatte – im Gegensatz zu vielen unserer Bekannten und sog. Freunde und Verwandten, die sich von uns ohne Angaben von Gründen distanziert haben. Das war eine schlimme und traurige Zeit für uns!
Am Tag vor dem 50. Geburtstag meines Mannes im September 2009 bekam ich ohne Vorwarnung starke Bauchschmerzen, Fieber und Schüttelfrost – und zwar so extrem, dass ich erneut in die Notaufnahme gebracht werden musste. Nach etlichen Untersuchungen kam die Schockdiagnose: eine 4,3 cm große Metastase an der Leber sowie eine gedeckte perforierte Sigmadivertikulitis mit Peridivertikulitis.
Nachdem wir zu Hause noch schnell alles organisiert hatten (Kind und Haushalt versorgen!), begab ich mich am 15.10.2009 wieder zu einer OP. Als ich danach auf der Intensivstation erwachte, hatte ich unerträgliche Schmerzen trotz starker Schmerzmittel. Ich wollte nicht mehr weiterleben, weshalb ich sofort psychologisch betreut wurde.
Es stellte sich während meines dreiwöchigen Aufenthalts heraus, dass ich 2 (zwei!) Abszesse an der Leber und eine Infektion im Bauchraum gehabt hatte – mit ständigem Fieber und Schmerzen.
Mein Körper war sehr, sehr schwach und ich hatte wieder viel Blut verloren. Aber ich hatte überlebt und konnte – wenn auch sehr gebeutelt – zur Reha. Nach ca. drei Monaten bekam ich zu Hause für vier Wochen eine Haushaltshilfe. Jeder, der mich sah, sagte mir, ich würde schlecht aussehen, was mich weder aufbaute noch motivierte.
5 - Sie haben in Ihrem Vorstellungstext auf Carenity geschrieben, dass Sie heute unter vielen psychischen und körperlichen Beschwerden leiden. Könnten Sie uns mehr dazu sagen? Wie sieht Ihre aktuelle Situation aus?
Mein ganzes Leben hat sich seit der Krebsdiagnose grundlegend verändert. Nichts ist mehr so, wie es einmal (harmonisch, glücklich) war. Ich lebe seither in ständiger Angst und Sorge. Mein Mann und mein Sohn sind mir das Wichtigste im Leben und ich hoffe, dass ich mit ihnen noch genügend Zeit verbringen darf – immer im Rahmen meiner eingeschränkten Möglichkeiten. Ich habe gelernt, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Seit April 2010 bekam ich Erwerbsminderungsrente. Mein Gewicht betrug zu der Zeit 100 kg (!!!). Das ging so gar nicht! Ich fühlte mich sehr unwohl! Innerhalb eines Jahres habe ich eisern 32 kg (!!!) abgenommen.
Im April 2014 wurden mir präventiv beide Eierstöcke entfernt, im Juni 2015 wurde ich erstmals am Knie operiert. Diagnose: fortgeschrittene Varusgonarthrose, Baker-Zyste 7,6 x 3, 1 x 2,0 cm.
Ich saß 10 Wochen mit Schiene im Rollstuhl und durfte auch später den Fuß nicht belasten. Bei der Routinekontrolle die Hiobsbotschaft, dass sich eine von vier Schrauben gefährlich verdreht hat. Im November musste sie mit der Platte entfernt werden. Ein erneuter Rückschlag meiner Gehfähigkeit.
Trotz Krankengymnastik habe ich Schmerzen und kann bis heute nicht wieder gehen. Der Befund der MRT im letzten Juni verheißt ein künstliches Kniegelenk. Manchmal sehe ich einfach keinen Horizont mehr, keine Perspektive, wenig Hoffnung auf Besserung.
Das war wohl auch der Grund, weshalb ich mich von 01/2016 bis 03/2016 in stationärer psychischer Behandlung im BKH befand, wo ich auch noch von einem Bandscheibenvorfall geplagt wurde.
Heute werde ich weiter über Hometreatment betreut. Momentan geht es mir sehr schlecht. Ich hatte vor Kurzem wieder einen schmerzhaften Divertikelschub, eine Darmspiegelung steht an. Außerdem habe ich an verschiedenen Stellen (z. B. am Kopf) Hautprobleme, welche nicht in den Griff zu bekommen sind. Salben helfen nicht. Aber ich habe keine Metastasen mehr. Seit bereits 5 Jahren nehme ich Chemotabletten. Durch die ständigen Schmerzen verschiedenster Art bin ich häufig müde und erschöpft, habe keine Ausdauer und keinen Antrieb mehr. Ich leide unter Schlafstörungen und Konzentrations- und Koordinationsstörungen, Essprobleme durch Stuhlunregelmäßigkeiten, Schmerzen an Gelenken und der Wirbelsäule durch Fehlhaltungen, Gefühlsstörungen in den Extremitäten.
6 - Gibt es Dinge, die Ihnen trotzdem im Alltag zumindest etwas helfen? Fühlen Sie sich genügend unterstützt? Schaffen Sie es zwischendurch mal abzuschalten?
Was mir hilft, ist, dass mein Mann und mein Sohn immer für mich da sind. 1 bis 2 Freunde sind noch geblieben. Meine Familie hilft mir bei der Tagesbewältigung. Mein Ehemann fährt mich zu sämtlichen Arztterminen und mein Sohn hilft im Haushalt mit. Er kann waschen, kochen und vieles mehr rund ums Haus. Gelegentlich hilft uns auch mein Cousin. Aufgrund meiner eingeschränkten Beweglichkeit ist es sehr schwierig, mal abzuschalten. Auf was sollte ich mich freuen? Das ist sehr schwierig für mich in meiner Situation. Ich habe nur den Wunsch, wieder gesund zu sein!
7 - Wozu würden Sie Personen raten, die gerade erst erfahren haben, dass sie an Krebs erkrankt sind?
Ich empfehle immer, eine kompetente Klinik zu wählen, sich eine Zweitmeinung einzuholen und stets auf Körpersignale zu achten, seinem Bauchgefühl zu vertrauen und bei Entscheidungen die Familie miteinzubeziehen.
8 - Möchten Sie uns noch etwas anderes mitteilen?
Eine Mitteilung bezüglich der Erwerbsminderungsrente (Ich nenne es Amtsschikane und Behördenwillkür!):
Meine Rente wurde zum 30.06.2016 eingestellt und gleichzeitig wurde mein Schwerbehinderungsgrad von 100 % auf 50 % herabgestuft! (Ich bin nun halbgesund… Wieso? Weshalb? Warum?) Ich habe bereits im Februar 2016 einen Neuantrag gestellt, jedoch bisher ohne Erfolg. (Noch kein Bescheid – bitte Geduld!)
Zuvor war ich bei mehreren Gutachtern und wurde als Simulantin deklariert. Da hat man eine Krankheit und muss mit den zuständigen Gremien, wie Rentenamt, Versorgungsamt, Arbeitsamt und Krankenkasse, kämpfen wie eine Löwin. Oft habe ich nicht die Kraft und Ausdauer dafür und bin auf professionelle Fremdhilfe angewiesen. Die richtige Einstufung der Schwerbehinderung wird wohl vor dem Sozialgericht ausgetragen werden, da wir ein Verfahren eingeleitet haben. Den finanziellen Dingen (Vorauslagen für Behandlungen = Krankenkosten) läuft man ständig hinterher.
Zum Schluss noch eine Ergänzung:
Mein Mann war durch mich und seinen Beruf dermaßen überfordert, dass es am 19.01.2012 so kam, wie es kommen musste: er erlitt einen körperlichen und psychischen Zusammenbruch. Er musste seinen Arbeitsplatz aufgeben und sich anderweitig orientieren. Nach zehn Monaten hat er selbst wieder eine adäquate Stelle gefunden, die ihm mehr Freizeit lässt. Möglich war dies jedoch nur durch finanzielle Abstriche.
Die Quint-Essenz lautet: Gesundheit ist das Wichtigste im Leben!
Vielen herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Interview so viel Zeit genommen und uns so viel Einblicke in Ihr Leben gewährt haben. Wir hoffen, Sie sehen bald wieder Licht im Dunkel und wünschen Ihnen und Ihrer Familie alles, alles Gute!
_
Sie würden gerne mit Sabine über Diabetes diskutieren und sich mit weiteren Betroffenen über Diabetes austauschen? Dann registrieren Sie sich auf Carenity und entdecken Sie dort auch ein Diskussionsthema zu diesem Interview.