Patienten Diabetes Typ 1
Schule und Diabetes
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Hier die Fortsetzung aus der Zeit:
Gesunde Kinder gehen in die Schule, kranke bleiben zu Hause: Diese klassische Zweiteilung stimmt aber schon lange nicht mehr. Laut dem Robert-Koch-Institut sind, je nach Definition, zwischen zehn und zwanzig Prozent aller Schulkinder chronisch krank. Sie werden von Asthma, Neurodermitis oder eben Diabetes geplagt, leiden unter Depressionen oder Ängsten. In Schweden, England oder den USA kümmern sich an vielen Schulen angestellte Krankenschwestern ("School Health Nurses") um diese Kinder und Jugendlichen. Sie leisten Erste Hilfe, impfen und geben Kurse in guter Ernährung oder Sexualkunde. In Deutschland müssen Lehrer viele dieser Aufgaben übernehmen, für die sie in der Regel nicht ausgebildet sind.
Doreen Schaar hatte da noch Glück. Ihre Tochter war nicht das erste Kind mit Diabetes auf der Schule. Thoras Klassenlehrerin machte sogar eine kleine Fortbildung, um die Stoffwechselkrankheit besser zu verstehen und zu wissen, was sie im Notfall unternehmen muss. Doch bei aller Einsatzbereitschaft kann sie die Erstklässlerin nicht so unterstützen, wie es nötig wäre.
Zwar ist die Diabetestherapie heute einfacher als früher. Zuckerkranke können inzwischen ein weitgehend normales Leben führen, Sport treiben und alles essen. Dank einer kleinen Pumpe, die sie etwa am Hosenbund befestigen können, müssen viele Kinder das rettende Insulin nicht mehr mit einem Pen oder einer Spritze injizieren.
In Zukunft könnte sogar der Piks, um den Glukoseanteil im Blut zu bestimmen, durch einen Sensor ersetzt werden, der unter die Haut gesetzt wird. Nur münzgroß ist dieser Messfühler, der im Februar auch für Kinder und Jugendliche zugelassen wurde und den die DAK als erste Krankenkasse "so schnell wie möglich anbieten will". Zudem hat er einen medizinischen Vorteil: Die Zuckerwerte werden dann nicht mehr nur viermal am Tag gemessen wie bisher, sondern kontinuierlich. Doch eines wird er nicht können: die Kohlenhydrate für jede Mahlzeit ausrechnen. Das ist nötig, um die richtige Insulinmenge zu ermitteln. Erstklässler aber können meist noch nicht rechnen oder wissen mit den Zahlen nichts anzufangen. Und bis es den Sensor gibt, müssen sie auch noch an das Messen des Blutzuckerspiegels denken – selbst wenn auf dem Schulhof die Klassenkameraden toben. Von einer Sechsjährigen erfordert das fast Unmögliches.
Thora vergisst ihren Diabetes, das ist gut – und ein Problem.
"Zum Glück vergisst Thora ihren Diabetes immer wieder", sagt die Mutter. "Genau das aber ist auch das Problem." Kurzum, das Mädchen braucht zumindest für die nächsten ein, zwei Jahre jemanden, der dabeisitzt, wenn sie in der Pause frühstückt oder in der Mensa zu Mittag isst, und schaut, dass sie nicht 5,2 Insulineinheiten an ihrer Pumpe einstellt, wenn es 2,5 sein müssten.
Integrationshelfer, mancherorts auch Schul- oder Einzelfallhelfer genannt, sind in allen Bundesländern rar; und seit die Inklusionsraten überall steigen, sind sie noch stärker nachgefragt als zuvor. Im Fall diabeteskranker Kinder stellen sich die Verantwortlichen deshalb fast überall quer.
Von den rund 360 Kindern, die in Leipzig und Umgebung behandelt werden, darunter auch viele im Grundschulalter, bekommen nur drei die Unterstützung eines Helfers, sagt Oberarzt Thomas Kapellen. Der Rest der jungen Patienten muss sich mit der sporadischen Hilfe der Lehrer begnügen. Wollen die Eltern das Risiko nicht eingehen, bezahlen sie private Helfer aus eigener Tasche oder springen selbst ein.
Christiane Jerrentrup-Wübben schaut mehrmals pro Woche in der Schule ihres Sohnes im hessischen Korbach vorbei, mitunter sogar zweimal am Tag. Besonders begeistert ist der kleine Carl Henrik nicht, wenn seine Mutter in der Klasse zum Messen und Spritzen auftaucht. Aber anders gehe es nicht. In der Kita musste der Junge einmal wegen einer akuten Unterzuckerung mit dem Krankenwagen in die Klinik, er war nicht mehr ansprechbar.
Eigentlich hatte die Familie deshalb auf eine Schulassistenz gehofft und sich dafür schon lange vor der Einschulung beim Schulamt erkundigt. Die Mitarbeiter aber hielten sie erst hin und verwiesen die Mutter dann an die Sozialbehörde. Die wiederum sah sich ebenso wenig verantwortlich und meinte, die Krankenkasse müsse die Kosten übernehmen. Da aber hatte die Kasse eine ganz andere Meinung: Es gehe doch um Bildung und nicht um eine medizinische Therapie.
So ging das mehrere Monate hin und her. Immer wieder musste Christiane Jerrentrup-Wübben woanders vorstellig werden und neue Anträge stellen – bis sie es leid war und eine Anwältin einschaltete. "Andere Eltern hätten längst aufgegeben", sagt Uwe Mück, der Lebenspartner der Mutter.
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Und hier der letzte Teil:
Genau das scheint gewollt zu sein, argwöhnen viele Betroffene. Weder ist für die Eltern oft klar, welche Behörde letztlich zuständig ist, noch gibt es für die betroffenen Schüler einheitliche Regelungen, welche konkreten Hilfen ihnen zustehen. Für die Eltern sei das Kompetenzchaos "zermürbend", sagt Anwalt Oliver Ebert, der die Deutsche Diabetes-Gesellschaft in Rechtsfragen berät. Mitunter hänge es vom einzelnen Sachbearbeiter ab, ob ein Kind Hilfe bekomme oder nicht.
Nun will eine bundesweite "Arbeitsgemeinschaft Inklusion" aus Kinderärzten, Sozialarbeitern und Diabetesberatern sich für eine bessere Betreuung der Kinder zumindest in den ersten Schuljahren einsetzen. Gleichzeitig wollen sie erreichen, dass die Kassen die Kosten der Diabetes-Schulungen übernehmen, welche die Kliniken meist vor Ort in der Kita oder Schule für Lehrer und Erzieher anbieten.
Bislang ist nur Bremen schon weiter. Vor Jahren hat man sich hier unter der Regie der Schulbehörde mit allen Verantwortlichen an einen Tisch gesetzt, um die unwürdige Odyssee der betroffenen Eltern zu beenden. Heute hat jedes Kind, das mit Diabetes eingeschult wird, in der ersten und zweiten Klasse Anspruch auf einen Helfer. Die Kosten teilen sich Staat und Krankenkassen.
Dabei kommt der Hansestadt zugute, dass sie früher als andere Bundesländer das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Schülern auf den Weg gebracht hat. Nirgendwo in Deutschland ist die Inklusionsrate höher, nirgendwo gibt es so viele Schulhelfer, die den Lehrern bei dieser Aufgabe assistieren. Anders als sonst üblich sind die Integrationsbegleiter jedoch nicht einem bestimmten Kind, sondern der ganzen Schule zugeordnet. Hier kümmern sie sich um alle Kinder mit einem Handicap: um Schüler mit Lernschwierigkeiten oder Verhaltensproblemen, um Rollstuhlfahrer – oder solche, die Hilfe beim Messen und Spritzen benötigen. Die Bremer Lektion heißt: Je normaler die Vielfalt wird, desto einfacher ist es, mit ihr umzugehen.
In den anderen Bundesländern müssen die Eltern die Hilfe für ihr Kind in letzter Konsequenz vor Gericht erstreiten, mitunter durch mehrere Instanzen. Im Fall von Doreen Schaar entschied das Landesgericht Berlin-Brandenburg, dass ihrer Tochter Thora ein Helfer zusteht. Die Entscheidung könnte wegweisend sein, denn sie lässt kaum Zweifel offen. Ohne Unterstützung sei das Kind offensichtlich nicht in der Lage, kontinuierlich dem Unterricht zu folgen, so die Richter. Das Urteil fiel Anfang Februar. Bislang wartet die Familie auf den Schulbegleiter jedoch vergeblich.
koechli2606
Guter Ratgeber
koechli2606
Zuletzt aktiv am 12.01.23 um 18:02
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Hi Jonas,
tolle Möglichkeit, lange Artikel ko0mplett einzustellen. (Sollte ich mit vielleich auch mal angewöhnen.)
Ich machs momentan noch mit pdf, weil ich der Meinung bin, man kann es kompakt abspeicher, archivieren und sich so einfach und schnell eine eigene Sammlung aufbauen.
LG Koechli2606
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Immer in Alarmstimmung
Die Zahl der Kinder mit Diabetes wächst. Wie Schulen damit umgehen, hängt nicht nur vom guten Willen ab.
Kürzlich war es wieder so weit. In der Sportstunde war die Klasse gehüpft, geklettert und gesprintet. Und Thora wie immer mittendrin. Warum auch nicht? Nur dass das Toben in der Pause weiterging und Thora darüber vergaß, etwas zu essen. Blass saß das Mädchen danach im Unterricht und konnte sich nicht mehr konzentrieren. Am Nachmittag waren die Blutzuckerwerte im Keller. "Für uns ist das immer ein Riesenschreck", sagt Doreen Schaar.
Nachdem ihre Tochter vergangenen Sommer in die erste Klasse gekommen ist, hat es viele solcher Angstmomente gegeben. Das Mädchen leidet unter Diabetes Typ 1. Was bei ihren Klassenkameraden die Bauchspeicheldrüse automatisch macht, nämlich dem Körper Insulin zur Verfügung zu stellen, das müssen bei Thora andere übernehmen. In der Kita war das kein Problem. Regelmäßig testete eine Erzieherin Thoras Blutzuckerspiegel und versorgte sie mit dem Hormon.
Die neue Grundschule im brandenburgischen Oranienburg jedoch ist mit der Zusatzarbeit überfordert. Bei mehr als zwanzig Kindern in der Klasse kann sich Doreen Schaar nicht darauf verlassen, dass die Lehrer ihre Tochter über den Schultag hinweg zuverlässig im Auge behalten. Mit der Einschulung beantragte die Mutter deshalb einen sogenannten Integrationshelfer, einen Assistenten, der dem Kind im Unterrichtsalltag zur Seite steht. Doch der wurde ihr von den Behörden verweigert. Darum müsse sie sich schon selbst kümmern, hieß es.
Eltern müssen um das Recht auf Inklusion kämpfen
Aber tragen Kinder mit Diabetes nicht einen Behindertenausweis mit einem "H" für "hilflos" als Merkzeichen? Gilt für sie nicht ebenso die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Artikel 24 vorschreibt, dass Menschen mit Behinderungen "die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern"? Und warum müssen betroffene Eltern mühsam darum kämpfen, dass ihren Kindern dieses Recht auf Inklusion gewährt wird?
Rund 35.000 Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes gibt es in Deutschland, jedes Jahr erhöht sich die Zahl um bis zu fünf Prozent. Niemand weiß, warum es immer mehr Mädchen und Jungen mit der Stoffwechselstörung gibt. Anders als bei Menschen mit Typ-2-Diabetes geht die Krankheit nicht auf Übergewicht oder zu wenig Bewegung zurück, sondern auf eine Störung des Immunsystems. "Beim Typ-1-Diabetes liegt die Ursache der zugrunde liegenden Erkrankung wahrscheinlich in einer Kombination aus Veranlagung, dem Auftreten von Virusinfekten sowie Ernährung", sagt Ralph Ziegler, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie.
Ist die Krankheit aber einmal da, schneidet sie tief ein ins Leben der Kinder und ihrer Familien – und verschwindet nie wieder. Von nun an bestimmt das Messen, Spritzen sowie das Berechnen jeder Mahlzeit den Alltag der Betroffenen. Während die Kinder oft das Gefühl haben, ihr ganzes Leben drehe sich nur noch um Blutzuckerwerte, Insulingaben und Kohlenhydratmengen (Broteinheiten), plagt die Eltern die große Sorge vor akuten Komplikationen und Langzeitschäden einer schlechten Diabetesbehandlung: Sehbehinderungen, Nierenschäden, amputierte Füße. "In vielen Familien herrscht unterschwellig eine permanente Alarmstimmung", sagt Ziegler, der in Münster als Kinderdiabetologe arbeitet.
Da ist es wichtig, dass die Betroffenen während der Schulzeit ausreichend Hilfe bekommen. Genau das ist jedoch häufig nicht der Fall. Jede Woche säßen ihr Eltern gegenüber, die von Problemen mit der Diabetesversorgung in der Schule berichten, sagt Michaela Heinrich, Sozialarbeiterin an der Berliner Charité. Mal muss ein Kind beim Sportunterricht auf der Bank sitzen, mal darf es nicht mit zum Ausflug. Geht es auf Klassenreise, muss oft ein Elternteil mitfahren, wenn das Kind nicht zu Hause bleiben soll.
Und immer wieder kommt es vor, dass Schulleiter – gegen jede Vorschrift – Eltern auszureden versuchen, das Kind gerade an ihrer Schule anzumelden. Mal sind die Klassen zu groß, mal die Mitschüler schwierig oder die Lehrer überlastet. Zuweilen fällt dann noch das Wort "Nachbarschule" oder "Förderschule", wo das Kind besser aufgehoben sei – wer würde da als Vater oder Mutter nicht ins Grübeln kommen, ob die gewählte Schule wirklich die richtige ist? "Obwohl alle von Inklusion sprechen, haben wir den Eindruck, dass die Probleme unserer Patienten in der Schule größer geworden sind", sagt Thomas Kapellen, Diabetes-Experte an der Leipziger Uniklinik.
Weiterlesen könnt ihr hier: zeit.de
Gruß vom
Jonas