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Was ist eine psychedelische Therapie und wie kann sie unsere psychische Gesundheit fördern?

Veröffentlicht am 30.09.2021 • Von Courtney Johnson

Wenn wir an psychedelische bzw. psychotrope Substanzen denken, denken viele von uns wahrscheinlich an die Zeit der „Hippies“ der 60er und 70er Jahre. Aber wussten Sie, dass psychedelische Substanzen auch in der Medizin eingesetzt werden können?

In den letzten Jahren, mit der zunehmenden Legalisierung oder Reglementierung bestimmter psychedelischer Substanzen, der anhaltenden Zunahme psychischer Erkrankungen in Deutschland sowie der Verlangsamung des psychopharmakologischen Fortschritts, könnte die psychedelische Therapie einen Popularitätsschub erfahren.

Was ist eine psychedelische Therapie? Wie funktioniert sie? Welchen Nutzen kann sie bei der Behandlung psychischer Erkrankungen haben?

Das alles erklären wir in unserem Artikel!

Was ist eine psychedelische Therapie und wie kann sie unsere psychische Gesundheit fördern?

Was ist eine psychedelische Therapie?

Die psychedelische Therapie, auch bekannt als psycholytische Therapie oder Substanz-unterstützte Psychotherapie, ist eine Form der Psychotherapie, bei der Pflanzen und Substanzen verwendet werden, die Halluzinationen hervorrufen können, um bestimmte psychische Erkrankungen wie Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) zu behandeln.

Obwohl halluzinogene Substanzen in indigenen Gemeinschaften schon seit Tausenden von Jahren in spirituellen und therapeutischen Zusammenhängen verwendet werden, ist ihre Einführung und Verwendung in der westlichen Medizin relativ neu.

Bei dieser Art von Therapie werden Psychedelika in der Regel mit Gesprächstherapie kombiniert.

Wie funktioniert die psychedelische Therapie?

Die Erforschung von Psychedelika und ihrem therapeutischen Potenzial hat ihre Wurzeln in den 1950er und 60er Jahren, bevor halluzinogene Substanzen in den Vereinigten Staaten mit dem Controlled Substances Act von 1971 verboten wurden. In dieser Zeit erbrachten US-amerikanische Forscher Beweise für den Nutzen der psychedelischen Therapie bei der Behandlung von Sucht, PTBS und psychischen Störungen wie Angst und Depressionen.

In den letzten Jahren hat das erneute Interesse und die Investition in die Erforschung der psychedelischen Therapie es den Wissenschaftlern ermöglicht, Studien über die Verwendung dieser halluzinogenen Substanzen durchzuführen, um ihre Wirkungen und möglichen Anwendungen sowohl in klinischen als auch in nicht-klinischen Bereichen besser zu verstehen.

Während herkömmliche pharmazeutische Medikamente für psychische Erkrankungen erst nach mehreren Wochen wirken oder nur so lange wirken, wie der Patient sie einnimmt, haben Forscher herausgefunden, dass psychotrope Substanzen oft schon mit einer einzigen Dosis eine sofortige Besserung bewirken können.

Wissenschaftler arbeiten immer noch daran, die Wirkungsweise von Psychedelika zu verstehen, und diese Substanzen sind auch nicht bei jedem wirksam. Dennoch haben Forscher die folgenden Hypothesen aufgestellt:

  • Veränderung der Neurotransmitter: Wie wir in unserem früheren Artikel (Depression: Liegt es an einer Funktionsstörung des Gehirns?) erfahren haben, sind Neurotransmitter chemische Botenstoffe im Gehirn. Viele Medikamente für psychische Erkrankungen wirken auf diese Neurotransmitter, um das Verhalten des Gehirns und damit auch unsere Stimmung zu verändern. Es wird vermutet, dass bestimmte psychotrope Substanzen dasselbe bewirken können.
  • Erhöhte Beeinflussbarkeit: Die Einnahme von psychotropen Substanzen kann eine Person beeinflussbarer machen, was bedeutet, dass sie für die positiven Anmerkungen des Therapeuten oder für die positiven Auswirkungen der Halluzinationen empfänglicher ist.
  • Spirituelle oder psychedelische Erfahrungen: Die Halluzinationen, die eine Person während des Konsums von psychotropen Substanzen erlebt, können eine tiefe Bedeutung haben und die Denkweise oder den Glauben der Person verändern. Diese Veränderung kann dazu führen, dass die Person ihre Denkmuster oder Verhaltensweisen ändert.

Welche verschiedenen Arten der psychedelischen Therapie gibt es?

Da die Forschung auf dem Gebiet der psychedelischen Therapie und der psychotropen Substanzen noch nicht abgeschlossen ist, gibt es keine Substanz, die von allen Therapeuten verwendet wird.

Zu den typischen psychedelischen Behandlungsmöglichkeiten gehören:

  • Psilocybin: Dieser Stoff steht im Mittelpunkt vieler neuerer Forschungen und ist der Hauptbestandteil der „magischen Pilze“. Hierdurch wird die Wahrnehmung, die Stimmung sowie das Bewusstsein verändert und in Studien zur Behandlung von Depressionen und Angstzuständen bei Menschen mit unheilbaren Erkrankungen hat sich diese Substanz als wirksam erwiesen. Sie kann auch bei Sucht, Zwangsstörungen und behandlungsresistenten Depressionen helfen.
  • Ketamin: Ketamin ist das am meisten untersuchte Psychedelikum für die Therapie psychischer Erkrankungen und hat sich in niedrigen Dosen in Studien als hilfreich bei der Behandlung von Depressionen erwiesen. Die Wirkung ist jedoch nicht von langer Dauer. Studien zu dieser Substanz haben zur Entwicklung von Spravato® geführt, einem Nasenspray auf Ketaminbasis zur Behandlung therapieresistenter Depressionen.
  • Ayahuasca: Ayahuasca ist ein psychoaktives Gebräu auf pflanzlicher Basis, das aus Südamerika stammt und bei Angstzuständen, Depressionen und Sucht helfen soll. Bei dieser Substanz ist Vorsicht geboten, da es zu einem Serotonin-Syndrom sowie zu Wechselwirkungen mit bestimmten Medikamenten kommen kann.
  • MDMA (Ectasy/Molly): Obwohl es sich um keine traditionelle psychotrope Substanz handelt, ist MDMA eine Substanz, die „psychedelische Wirkungen“ wie veränderte Wahrnehmung, Euphorie, gesteigerte Kontaktfreudigkeit und Erregung hervorruft. Mehrere klinische Phase-2- und Phase-3-Studien haben gezeigt, dass MDMA langfristig PTBS-Symptome behandeln kann. In der Phase-3-Studie, die von der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies gesponsort wurde, wurde bei 67% der Teilnehmer mit schwerer PTBS nach drei Behandlungen keine PTBS-Diagnose mehr gestellt, und 88% hatten weniger PTBS-Symptome. Diese positiven Ergebnisse könnten zumindest in den USA den Weg für eine Zulassung der MDMA-gestützten Therapie bis 2023 ebnen.
  • Lysergicsäurediethylamid (LSD): LSD ist ein starkes und langanhaltendes Psychedelikum, das als Paradebeispiel für therapeutische Psychedelika diente. Es hat sich als hilfreich bei der Behandlung von Angstzuständen und Alkoholmissbrauchsstörungen bei Menschen mit unheilbaren Erkrankungen erwiesen.

Hier sollte angemerkt werden, dass die psychedelische Therapie in Deutschland generell nicht illegal ist. Nach dem Betäubungsmittelgesetz werden psychotrope Substanzen in drei Gruppen eingeteilt: „nicht verkehrsfähige“, „verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige“ sowie „verkehrsfähige und verschreibungsfähige“ Betäubungsmittel. Um im Rahmen der Legalität zu verbleiben, darf der Arzt nur solche Substanzen der dritten Gruppe anwenden, was Ayahuasca, LSD, MDMA und Psilocybin von der legalen Anwendung ausschließt, wohingegen Ketamin ein zugelassenes Medikament ist.

Es gibt noch keine standardisierte Verabreichungsmethode, so dass die einzelnen Ärzte ihre eigenen Techniken und Methoden der psychedelischen Therapie haben. In klinischen Einrichtungen erfolgt die psychedelische Therapie jedoch in der Regel in drei Phasen:

  • Beratungsgespräch, in dem der persönliche Hintergrund des Patienten, mögliche Ziele oder Bedenken bezüglich der psychedelischen Therapie dargelegt werden und sichergestellt wird, dass keine Kontraindikation vorliegt.
  • Einnahme, bei der eine niedrige bis moderate Dosis entweder oral oder durch Injektion unter Aufsicht des ausgebildeten Fachpersonals verabreicht wird.
  • Integration, eine Phase nach der Einnahme, in der der Patient und der Therapeut gemeinsam daran arbeiten, die psychedelische Erfahrung zu verarbeiten, ihr einen Sinn zu geben und ihre Bedeutung zu integrieren.

In der Regel umfasst die psychedelische Therapie mehrere Sitzungen, je nach der verwendeten Droge und dem individuellen Behandlungsplan. So sind z.B. für eine Psilocybin- und LSD-gestützte Therapie in der Regel mindestens zwei Sitzungen erforderlich, eine MDMA-gestützte Therapie umfasst in der Regel mindestens drei Sitzungen, und eine Ketamin-gestützte Therapie erfordert zwischen einer und zwölf Sitzungen.

Wie kann eine psychedelische Therapie die psychische Gesundheit fördern?

Psychedelika sind starke Substanzen, die intensive, bewusstseinsverändernde Wirkungen hervorrufen können. Es wird angenommen, dass ihre Wirkung in der Beeinflussung der neuronalen Schaltkreise besteht, die den Neurotransmitter Serotonin nutzen. Zu den möglichen Vorteilen gehören:

  • Selbstbeobachtung 
  • Gefühl der Entspannung 
  • Stärkeres Gefühl sozialer Verbundenheit
  • Verbessertes Gefühl des Wohlbefindens
  • Spirituelle Erfahrungen

Wenn sie in einer sicheren, therapeutischen Umgebung mit ausgebildetem Fachpersonal eingesetzt wird, das die Substanz verabreicht, die Situation überwacht und dem Patienten hilft, die Erfahrung zu interpretieren und zu integrieren, kann die psychedelische Therapie die Symptome vieler psychischer Erkrankungen lindern, wie z. B.:

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Es wird angenommen, dass die psychedelischen Wirkungen von Halluzinogenen einige der Auswirkungen von Traumata lindern können, auch wenn neuere Forschungen zu gemischten Ergebnissen gekommen sind.

Eine 2020 durchgeführte Überprüfung von fünf Studien zu Ketamin und vier Studien zu MDMA bei der Behandlung von PTBS ergab, dass die Beweise für die Wirksamkeit von Ketamin allein gering waren, während die Beweise für MDMA moderat waren. Eine zweite Studie aus dem Jahr 2020, die sich mit Überlebenden der AIDS-Pandemie befasste, ergab jedoch eine klinisch signifikante Verringerung bestimmter PTBS-Symptome nach einer Behandlung mit Psilocybin. 

Angstzustände und andere Stimmungsstörungen

Wie bereits erwähnt, können sich Psychedelika positiv auf Stress und die Stimmung auswirken, was sich wiederum positiv auf chronische psychische Erkrankungen wie Angstzustände und Depressionen auswirken könnte.

Die Forschung hat diese Annahme bestätigt: Eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie aus 2016 ergab, dass die psilocybingestützte Therapie bei Patienten, die wegen einer Krebserkrankung in Behandlung waren, zu einer signifikanten Verringerung von Depressionen und Angstzuständen beitrug, und eine Studie aus dem Jahr 2017 an Menschen mit behandlungsresistenten Depressionen ergab, dass eine psilocybingestützte Behandlung im Laufe der Zeit zu einer signifikanten Verringerung der Symptome führte.

Alkohol- und Drogenmissbrauchsstörungen

Frühe Forschungsarbeiten zu Psychedelika ergaben deutliche Hinweise darauf, dass sie bei Drogenmissbrauchsstörungen helfen könnten. Suchterkrankungen und andere psychische Störungen wie Depressionen oder Angstzustände treten häufig gemeinsam auf, was ihre Wirksamkeit erklären könnte. Es wird vermutet, dass psychotrope Substanzen durch die Linderung der Symptome anderer psychischer Erkrankungen den Ausstieg aus der Sucht erleichtern.

Zwei Studien aus 2015 und 2016, in denen Psilocybin in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren eingesetzt wurde, ergaben hohe Erfolgsquoten bei der Eindämmung des suchtkranken Alkohol- und Tabakkonsums.

Was sind die Risiken einer psychedelischen Therapie?

Auch wenn psychotrope Substanzen für bestimmte Patienten von großem Nutzen sein können, ist es wichtig zu wissen, dass sie nicht für jeden geeignet sind und auch Wirkungen hervorrufen können wie:

  • Paranoia 
  • Verändertes Zeitempfinden
  • Verzerrung der Realität und Wahrnehmung
  • Intensive Emotionen oder Wahrnehmungen
  • Hören, Sehen oder Fühlen von Dingen, die normalerweise nicht wahrgenommen werden

Dem amerikanischen National Institute on Drug Abuse (NIDA) zufolge können diese Nebenwirkungen als eine Art drogeninduzierte Psychose betrachtet werden, die „die Fähigkeit einer Person, die Realität zu erkennen, rational zu denken oder mit anderen zu kommunizieren, verzerrt oder desorganisiert“. 

Die psychedelische Therapie befindet sich noch im Versuchsstadium, so dass die medizinische Gemeinschaft noch viel lernen muss. Abgeschlossene und laufende Forschungsarbeiten sind vielversprechend, insbesondere für Patienten mit schweren Angstzuständen, Depressionen und PTBS.

Patientenanwälte und Lobbyisten setzen sich für die Entkriminalisierung bestimmter psychotroper Substanzen ein, um die Forschung voranzutreiben und den Zugang für Patienten zu verbessern. Vielleicht werden wir in den kommenden Jahren psychedelische Therapien als Alternative zu herkömmlichen pharmazeutischen Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen sehen!


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Quellen: 


avatar Courtney Johnson

Autor: Courtney Johnson, Gesundheitsredakteurin

Courtney ist Content Creator bei Carenity und konzentriert sich auf das Schreiben von Gesundheitsartikeln. Ihr besonderes Interesse gilt den Bereichen Ernährung, Wellness und Psychologie.

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